Um uns auf die besondere Nacht gebührend vorzubereiten, gehen wir heute auf eine kleine Reise in die Filmgeschichte und werden die großen Epochen der amerikanischen Kinohistorie aufleben lassen. Während unserer Reise werden uns exemplarische Filme einen Einblick in die jeweiligen Epochen geben. Passend zum Anlass haben all diese Filme mindestens den Oscar für den besten Film des Jahres erhalten und ihr findet Verlinkungen zu Kritiken am Ende des Artikels.
Wir beginnen in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg: in den 30ern und 40ern bezeichnete die Goldene Ära Hollywoods eine Zeit des klassischen Hollywood-Kinos. „Casablanca“ steht wie kaum ein weiterer Film für diese Zeit voller Hoffnungen und Träume.

Curtiz‘ Liebesdrama nutzt sehr wohl das Starsystem. Humphrey Bogart und Ingrid Bergman spielen Ilsa Lund und Rick, die sich seit längerem kennen („We’ll always have Paris“, „Here’s looking at you, kid“) und unerfüllt verliebt sind. Bezüglich der Genre-Konventionen weicht Curtiz jedoch ab und vermischt Liebesgeschichte mit Kriminalfilm in kriegerischem Setting.
Natürlich hat das Starsystem der Goldene Ära auch dramaturgische Schwierigkeiten entfacht. So beschreibt Alfred Hitchcock in dem weltberühmten Interview mit François Truffaut namens „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“: „Das ist eins der Probleme, mit dem wir durch das Starsystem ständig konfrontiert werden. Sehr oft ist das Funktionieren einer Geschichte dadurch gefährdet, dass der Star einfach kein Schurke sein kann.“ Das Buch gilt heutzutage als Hauptwerk der Filmliteratur und ist wärmstens zu empfehlen. Die Stars der Zeit mussten also moralisch einwandfrei agieren und durften keine Antagonisten spielen, die ethisch problematische Handlungen ausführen. Insbesondere in Zeiten des Zweiten Weltkrieges (siehe „Casablanca“) sorgte diese Situation für einen Kontrast zur brutalen Realität des Krieges. Der Wiedererkennungswert und das Glorifizieren der Stars beschnitt die künstlerische Freiheit der Regisseur*innen.
Nach Kriegsende und einem Jahrzehnt des Wirtschaftsaufschwungs in den 50ern brachten die 60er Jahre eine neue Phase des Umdenkens. Der Vietnamkrieg ließ viele Hoffnungen und Träume an eine friedvolle Gesellschaft zerplatzen, Studierende weltweit rissen konservative Denkmuster ein und die Figur des Antihelden in düsterem Realismus-Setting eroberte die Leinwände. Lasst uns hier einen kurzen Zwischenstopp machen. Ganz zu Beginn der 1960er Jahre erscheint einer der einflussreichsten Musicalfilme der gesamten Filmgeschichte: „West Side Story“.

Im Verlauf der 1960er Jahre ereigneten sich einschneidende Geschehnisse in der Welt. Kennedys Ermordung 1963, Vietnamkrieg, Mondlandung.und Woodstock 1969. Ein Jahrzehnt des Wandels! All dies führte nicht nur zu politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, sondern auch zu einer Verschiebung der filmischen Dramatik. Zum Ende des Jahrzehnts begann die neue Phase, das New Hollywood erreichte in den 70er Jahren den Höhepunkt und schenkte uns eine Vielzahl an künstlerischen und einflussreichen Klassikern. Sowohl inhaltlich (Gesellschaftskritik, Psychogramme, moralische Dilemmata, Antihelden) wie auch formal bewirkte diese Phase einen radikalen Bruch zu den Produktionen der Goldenen Ära. Zahlreiche bekannte Filmbeispiele lassen sich für das New Hollywood aufzählen („Taxi Driver“, „Uhrwerk Orange“, „Der Pate“, „Chinatown“, „Einer flog über das Kuckucksnest“), wir aber schauen auf ein Paradebeispiel zu Beginn der Ära, das den Oscar für den besten Film gewonnen hat.

Das Aufkommen der Blockbuster zum Ende der 70er (z.B. „Star Wars“ 1977) hat dann in den 80ern und 90ern diese cineastisch sehr wertvolle Phase beendet, was nicht bedeuten soll, dass die Blockbuster keinen Wert haben – sie erzeugen ihn jedoch auf andere Weise. Fortgesetzt wird dieser Trend heutzutage durch das MCU. Mehr oder eher weniger attraktive Prequels und Sequels von weiteren Sequels bestimmen die Kinolandschaft im Mainstream, wir hingegen schauen auf unserer Reise auf Elemente der Postmoderne, die parallel zur Blockbuster-Kultur Einzug in die Kinos genommen hat. Während das Mainstream-Kino häufig klassische Gut-Böse-Narrative bedient, versucht der postmoderne Film diese Erzählungen zu unterlaufen. Von höchster Aktualität im modernen identitätspolitischen Diskurs ist die in der Postmoderne auftretende Zerlegung stereotypischer Darstellungen von Geschlecht, Rasse oder Klasse.
Im Musical „Chicago“ 2005 erleben wir genau eine solche Dekonstruktion von typisch weiblichen Rollenbildern. Rob Marshall inszeniert Renée Zellweger (Roxie) und Catherine Zeta-Jones (Velma) mit einer Mehrdeutigkeit, die es dem Publikum schwer macht, klare Sympathien zu entwickeln.

Nachdem wir nun zurückgeblickt haben auf vergangene Epochen und Filme widmen wir uns nochmal der bevorstehenden Verleihung, wo es das Remake von „West Side Story“ von Steven Spielberg zu sieben Nominierungen gebracht hat. Hier bietet sich ein Vergleich mit dem Original an, weshalb in der Kritik zu der aktuellen Verfilmung des Musicalstoffs auf das Original Bezug genommen wird.

Hier endet unsere Reise durch die Film- und Oscar-Geschichte mit der Schlussfolgerung, dass die Geschichte immer auch für die Gegenwart verantwortlich ist und wir stets vergangene Höhepunkte auch im aktuellen Kino wiederfinden werden. Während die Goldene Ära insbesondere in den Musicals weiterlebt („La La Land“, „Mamma Mia!“), sind die Einflüsse des New Hollywood und der Postmoderne deutlich stärker ausgeprägt, wobei wir hier stark zwischen Mainstream- und Arthouse-Kino differenzieren müssen. Nur so viel als Beispiel: dieses Jahr glänzt der Mainstream durch Originalität und Innovation wie „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“ (der 6. Film der Jurassic-Park-Reihe), „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ (der sage und schreibe 28. Film des MCU) und „Top Gun: Maverick“. Die Zeiten der Revolutionen des Kinos, wie es das New Hollywood erreicht hat, scheinen vorbei…
Jetzt seid ihr an der Reihe: Welche Filme, die den Oscar für den besten Film gewonnen haben, sind euch in Erinnerung geblieben? Welche filmische Ära imponiert euch am meisten? Welchem Film drückt ihr am Oscar-Abend die Daumen? Wir wünschen viel Spaß bei der Oscar-Verleihung und viel Glück beim Uncut-Oscar-Tippspiel.