Bilder: 20th Century Fox Fotos: 20th Century Fox
  • Bewertung

    Nostalgische Neuverfilmung mit wenigen neuen Akzenten

    Exklusiv für Uncut
    Willkommen im modernen Kino! Endlich mal ein Remake! Spaß beiseite. Viele haben sich eine Neuverfilmung des berühmten Stoffes der „West Side Story“ in heutigen Zeiten gewünscht und sie haben es bekommen. Nach dem starken Film aus 1961 handelt es sich hier um die zweite Verfilmung des 1957 veröffentlichten Musicals und kein Geringerer als Legende Steven Spielberg hat sich hinter die Kamera gestellt, um gemeinsam mit Autor Tony Kushner den Stoff neu zu adaptieren. Hinlänglich bekannt ist die Handlung und Spielberg ändert am Grundsetting nichts. New York, 1950er Jahre, Sharks, Jets, Romeo und Julia alias Tony und Maria und ihre unvollendete Liebe bilden die bekannten Bausteine. Spirit, Farbgebung und Szenenbild sind ebenfalls ziemlich identisch mit dem Original.

    Welche Anpassungen nimmt Spielberg dennoch vor? Zunächst einmal verschiebt sich das antagonistische Motiv. Während 1961 die rassistische Rivalität nur angedeutet wird, bekommt sie hier eine präzisere Gestaltung. Wo 1961 noch das unverbindliche und infantil wirkende „Sharks stink“ an die Wand gesprüht wird, lässt Spielberg eine Puerto-Rico-Fahne übermalen. Eine klare Respektlosigkeit, die gleich zu Beginn die Feindschaft auf eine neue Ebene hebt und ihren Ausdruck in recht brutaler Gewalt findet. Farbeimer werden gegen Köpfe geworfen, Schlägereien werden mit boxenden Fäusten und nicht mit tanzenden Füßen geführt, ein Nagel lässt Blut aus einem Ohr tropfen. Ein Kritikpunkt des älteren Filmes bestand im geringen Realismus. Man hat den Gangs ihre Gefährlichkeit nicht abgekauft. Doch Spielberg hätte diese Gefährlichkeit nicht durch unnötige brutale Szenen ausdrücken müssen, Authentizität hätte auch in anderer Form dargestellt werden können. Weniger Glanz, mehr Dreck, ein paar Handgreiflichkeiten hätten womöglich gereicht. In dieser Art verschreckt der eigentlich leichtfüßige Film durch fehlende Eleganz, an der es ebenso auf inszenatorischer Ebene mangelt. Spielberg dirigiert konventionell und weniger künstlerisch, die Ästhetik des früheren Films vermisst man.

    Was macht Spielberg dennoch gut? Die Besetzung ist mehr als ordentlich. Anselm Elgort und Newcomerin Rachel Zegler (Golden Globe für die beste Hauptrolle) sprühen vor Charme und harmonieren besser als Natalie Wood und Richard Beymer, vor allem Rachel Zegler könnte mit diesem Film der Durchbruch gelungen sein und es würde nicht überraschen, sie zukünftig häufiger zu sehen. Auch Ariana DeBose als Anita überzeugt und gewann ebenso einen Golden Globe. Die Sensation des Films ist jedoch Rita Moreno. Im Original noch Anita porträtierend, spielt sie hier die Witwe des Einzelhändlers Doc und hat mit „Somewhere“ einen der musikalischen Höhepunkte des Films geschaffen. Generell wirkt der neue Cast stimmlich etwas angenehmer, was aber auch auf den tontechnischen Fortschritt im Verlauf der letzten 60 Jahre zurückgeführt werden kann.

    Inhaltlich wird die Handlung ausgeschmückt. Der Film ist reichhaltiger, es gibt mehr Dialog, die Figuren bekommen eine Hintergrundgeschichte und mehr Tiefgang. Wie so oft im modernen Kino wird alles ausformuliert und dem Publikum auf dem Silbertablett serviert. Sonst eher störend, steht dieser Aspekt dem Film ganz gut, da der Tiefgang dem Original etwas fehlte. Auch die intensive Verwendung der spanischen Sprache, die auch nicht untertitelt wird, trägt zum Realismus des Films bei. Dennoch erscheint der Film eher wie ein Märchen denn als politische Botschaft über Themen wie Polizeigewalt oder soziale Mobilität. Hier hatte der ältere Film klare Stärken und Spielberg verliert die anfangs markierten Probleme wie Gentrifizierung aus den Augen.

    Vor dem Fazit noch ein kurzer Blick auf die interessante Songplatzierung. Im Vergleich zum Originalfilm wird „I feel pretty“ direkt nach dem Showdown-Kampf eingesungen, was der Bühnenversion von 1957 entspricht, aber im Film von 1961 an einer dramaturgisch sinnvolleren Stelle positioniert wurde. Im Spielberg-Film wird die Spannung im Anschluss an den Kampf dadurch gebrochen.

    Fazit: Steven Spielberg erfindet das Rad nicht neu. Man kann ihm nicht zu Unrecht Mutlosigkeit und konservatives Festhalten am bekannten Setting vorwerfen, andererseits zeigt er damit den nötigen Respekt vor dem Original. Einige Änderungen gelingen (Einsatz der spanischen Sprache, Besetzung), einige funktionieren weniger (Handlung überwiegt die Filmkunst, authentische Gewalt). Letztlich handelt es sich um eine klassische Neuverfilmung ohne neuen Input, ohne Verschiebung des Vergangenen in die Gegenwart, die dennoch Einiges richtig macht. Nostalgie kann sinnvoll sein, aber auch die Sehgewohnheiten derart modifizieren, dass der bessere Film aus 1961 in Vergessenheit gerät und das wäre allzu bedauerlich. Spielbergs „West Side Story“ sollte eher dazu motivieren, sich mit dem Original auseinanderzusetzen.
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    (André Masannek)
    25.03.2022
    10:51 Uhr
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