Filmkritik zu Asphalt-Cowboy

Bilder: United Artists, Arthaus Fotos: United Artists, Arthaus
  • Bewertung

    Verstörender Aufbruch in eine neue Zeit

    Exklusiv für Uncut
    Die Zeit war gekommen. Der Wandel unausweichlich. In Vietnam tobte der Krieg, Studierende weltweit gehen auf die Straße und Woodstock stand vor der Tür. Diese epochalen, einschneidenden Ereignisse spiegeln sich für gewöhnlich in der Popkultur wider und auch Hollywood musste sich verändern. Einen der Startschüsse für die Veränderung im Medium Film setzte 1969 der Film „Asphalt Cowboy“ von John Schlesinger nach dem 1965 erschienen Roman „Midnight Cowboy“ (so lautet auch der englische Originaltitel des Films) von James Leo Herlihy.

    Joe Buck (stark gespielt von Angelina-Jolie-Dad Jon Voight) gibt seinen Job als Tellerwäscher auf und kehrt seinem langweiligen Leben in Texas den Rücken. Mit dem Bus fährt er durch die USA Richtung New York., wo er sich als Gigolo ein neues Leben erhofft. Motiviert und ehrgeizig begibt er sich als moderner Cowboy in die Stadt, die niemals schläft, erlebt jedoch den schleichenden Niedergang. Der verwahrloste Außenseiter Rizzo (Dustin Hoffmann) wird seine einzige Bezugsperson. In der Gemengelage aus Prostitution, Drogen und Armut versuchen sich die beiden Einzelgänger im Asphalt-Dschungel am Leben zu erhalten.

    Voight und Hoffmann wurden beide für den Hauptdarsteller-Oscar nominiert und vor allem Hoffmann zeigt eine eindringliche Leistung, eine der besten seiner Karriere. Die rot unterlaufenen, müden Augen zeugen von einem drastischen Realismus in dem bemitleidenswerten Charakter des Rizzo, dass es uns kalt den Rücken runterläuft. Für die gesamte Drehdauer ließ er kleine Steine in seinen Schuhen, um Rizzos Hinken zu imitieren. Für Voight bedeutete der Film den Durchbruch, er wurde als vielversprechendster Schauspieler mit dem Golden Globe ausgezeichnet.

    Während im inhaltlichen Vordergrund Anspruch, Traum und Realität in Joes Leben aufeinanderprallen, zeichnet Schlesinger das Bild des urbanen, dunklen, kapitalistischen New York, in welchem die Werbetafeln leuchten und eine bessere Welt versprechen. Dieses Versprechen kann schwerlich eingelöst werden und wir erleben die Dekonstruktion des American Dream durch Joes Augen. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ bleibt nicht mehr als eine Phrase. Wo anfangs noch Chancen, Perspektiven und positive Aussichten vorherrschten, trifft die Realität beide Charaktere bis ins Mark, bis hin zu existenziell gefährlichen Situationen. Anfangs würden wir Joe als witzig und unbeholfen charakterisieren, später bleibt uns diese Überheblichkeit im Hals stecken und es überwiegt die Erkenntnis, dass es sich dabei um Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in einer zunehmend komplexen Welt handelt. Ausdruck findet diese Veränderung in der Temperatur, die Joe wahrnimmt. Zu Beginn ist er manchmal oberkörperfrei und nur im Hemd unterwegs, wohingegen er und Rizzo später in einer extrem kalten Wohnung hausen. Generell symbolisiert die „Wohnung“ die fortschreitende Armut der Charaktere. Sein schrittweise verringertes Selbstvertrauen bemerken wir ebenso: anfangs gibt es eine Szene, in der Joe sich vor einem Spiegel positioniert und seine Körperlichkeit zelebriert, später suchen wir solche Szenen vergeblich. Der Spiegel als Objekt sollte wenige Jahre später auch für eine bis heute unerreichte berühmte Szene in „Taxi Driver“ herhalten, ebenfalls ein Klassiker des New Hollywood.

    Die Orientierungslosigkeit wird später bei einer psychedelischen Party auf die Spitze getrieben. Witzige Trivia: nach Aussagen des Produzenten Jerome Hellman kam es bei dieser surrealen Situation tatsächlich zum Konsum von Marihuana. Ebenso surreal wirken Joes Tagträume, die das großstädtische New York kontrastieren und sowohl aus Erinnerungen (Rückblenden) als auch aus Zukunftsvisionen gespeist werden. Analog zur literarischen Figur des Stream of Consciousness, des Bewusstseinsstroms, den vorallem Virginia Woolf geprägt hat, durchleben wir Joes Vergangenheit, seine Kindheit, das Aufwachsen bei seiner Oma und die Vergewaltigung seiner damaligen Freundin. Die Tragweite dieser Erzählstruktur ist heutzutage kaum nachzuvollziehen, aber zur damaligen Zeit hat das klassische Hollywood fast ausschließlich die lineare Erzählung bevorzugt. Rückblenden und Realitätsverzerrungen waren nahezu verpönt. Inszenatorisch nutzt Schlesinger dafür einen umfassenden Baukasten filmischer Mittel: unkonventionelle Einstellungen, Schwarz-Weiß-Sequenzen, schnelle Schnitte, Zoom, vorsätzliche unzuverlässige Anschlussfehler und Überblendungen. Zudem spricht Schlesinger bis dato Tabuthemen wie Homosexualität und Prostitution an, das Christentum kommt in bemerkenswerten Szenen nicht gut weg. Eingeprägt hat sich die Darstellung des Sexaktes zwischen Joe und einer Dame, indem das immer schnellere Umschalten der Fernsehsender die Klimax symbolisiert. Ein kreativer Ausdruck der Entertainmentwelt als Höhepunkt zwischenmenschlicher Beziehungen.

    Fazit: Ein ästhetischer Film, der unsere Sinne bemüht und mit einem drastischen Ende unsere Moral, unsere Hoffnungen überfährt wie eine Walze. John Schlesinger, zu Recht mit dem Regie-Oscar für seine Leistung ausgezeichnet, schafft ein verstörendes Werk, das auch nach der letzten Blende an unseren Vorstellungen kratzt und nachhallt. Gebrochene, unvollständige Menschen finden sich in diesem Werk wieder, das neue Perspektiven auf die menschliche Bedingtheit liefert. Als Musterbeispiel für die Ära des New Hollywood eines der wichtigsten Werke der Filmgeschichte, das von einer ausgezeichneten Regie und sehr guten Darstellern lebt. Zwingend zu empfehlen!
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    (André Masannek)
    26.03.2022
    21:35 Uhr
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