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Heidi@Home: „Nach eine wahren Begebenheit...“

Heidi@Home: „Nach eine wahren Begebenheit...“

Die neue Netflix-Serie „The Crown“ wirft die Frage nach historischer Akkuranz im Unterhaltungsfernsehen auf.
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von (Heidi@Home)
Letzte Woche ging auf Netflix eine neue Serie on air, die sich „The Crown“ nennt und sich den jungen Jahren der britischen Königin Elisabeth widmet. Mit einem Budget von kolportierten 80 Millionen Dollar für die erste Staffel handelt es sich um die bisher teuerste Netflix-Produktion.

Die Serie ist nach einer Idee von Peter Morgan entstanden, der 2006 auch das Drehbuch zum Film „Die Queen“ verfasst hat, der sich ebenfalls mit Elisabeth beschäftigt hat, damals allerdings vor allem mit den Vorgängen nach dem Tod von Prinzessin Diana. Überhaupt behandelt Morgan ausgesprochen gerne Stoffe, die mehr oder weniger auf wahren Begebenheiten beruhen. Auch für den Film „Frost/Nixon“, der die Interviews des Journalisten David Frost mit Richard Nixon nach dessen Rücktritt zum Thema hat, hat er das Drehbuch verfasst, ebenso wie für die Produktion „Der letzte König von Schottland“, die sich mit dem ugandischen Diktator Idi Amin beschäftigt. Seinen letzten großen Erfolg markierte der Film „Rush - Alles für den Sieg“, der die spannende Formel-1 Saison des Jahres 1976 und die Rivalität zwischen James Hunt und Niki Lauda porträtiert.

Quasi systemimmanent müssen sich Filme und Serien, die auf wahren Begebenheiten basieren, gewisse kritische Stimmen gefallen lassen. Zwar heißt es im Film „Her“: „Die Vergangenheit ist eine Geschichte, die wir uns selber erzählen“, was bedeutet, dass selbst von uns tatsächlich erlebte Wirklichkeit immer gefärbt ist vom eigenen Blickwinkel, den Leistungen des Gedächtnisses, vorangegangen Erfahrungen und vielen weiteren Komponenten; wenn man noch weitergehen will, kann man sich sogar zur Frage: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ versteigen. Tatsache ist, dass Fiktion immer eine gewisse narrative Zuspitzung fördert, dass scheinbar unbedeutende oder unpassende Dinge weggelassen, andere dagegen verdichtet oder mehr oder minder unzulässig ergänzt werden.

Beispiele dafür gibt es zahlreiche. Besonders umstritten ist in dieser Beziehung etwa „A Beautiful Mind - Genie und Wahnsinn“, ein Film aus dem Jahr 2001, der sich mit dem Leben des schizophrenen Mathematikgenies John Nash beschäftigt. Der Produktion wird vorgeworfen, dessen Krankheit zu romantisieren und einige problematische Wesenszüge der Persönlichkeit von Nash zugunsten einer Hollywood-Liebesgeschichte auszublenden. Nichtsdestotrotz wurde der Film ein großer Erfolg und mit vier Oscars ausgezeichnet. Andere Produktionen lehnen sich nicht so weit aus dem Fenster, und erfinden eine Geschichte im Umfeld eines tatsächlichen historischen Ereignisses wie der Film „Titanic“: das Schiff ist zwar gesunken, doch Jack und Rose waren nicht an Bord. Beim Film „Extrem laut und unglaublich nah“ bilden die Terroranschläge von 9/11 den Hintergrund für eine fiktive Familiengeschichte. Man kann die quasi Biografie des neuen Literatur-Nobelpreisträgers filmisch aber auch so gestalten, dass sofort klar ist, dass es sich hierbei vor allem um Kunst handelt. Das beginnt schon damit, dass Bob Dylan in „I'm Not There“ von sechs verschiedenen Darstellern, darunter auch einer Frau (Cate Blanchett) verkörpert wird.

Wie ist nun „The Crown“ zu beurteilen? Peter Morgan erzählt in einem Interview, dass ein achtköpfiges Team zweieinhalb Jahre für die Produktion recherchiert hat, es wurden auch Gespräche mit Palastinsidern geführt, allerdings gab es keinen Kontakt zur Königsfamilie, um unabhängig zu bleiben. Die Unabhängigkeit stellt Morgan im selben Interview allerdings gleich selbst in Frage, als er Elisabeth ein „Versagen“ im Zuge des Brexit vorwirft. Hier kann man bereits einhaken und hinterfragen, ob es die Pflicht oder auch überhaupt ihrer Rolle angemessen wäre, sich in politische Entscheidungen des Landes einzumischen. Zwar ist Elisabeth rein formal das Staatsoberhaupt, tatsächlich aber beschränkt sich ihre Funktion primär auf repräsentative Aufgaben. Würde sie tatsächlich in Tagespolitik eingreifen, wäre das zumindest höchst umstritten bis hin zum Risiko, damit eine Verfassungskrise auszulösen.

Was Peter Morgans Drehbuch tatsächlich leisten kann, wie das seine Arbeiten in der Vergangenheit auch getan haben, ist die spannende Kreation einer Art semi-fiktionalen Welt. Klischees werden eher bestätigt als hinterfragt, emotionale Verstrickungen wie die „skandalöse“ Liaison von Elisabeth‘ Schwester spielen eine wichtige Rolle; Anklänge an Seifenopern, quasi nur royal verbrämt, sind recht schnell spürbar. Das alles aber doch mit Niveau, Spannung und guten Darstellern in Szene gesetzt. Wenn man es nimmt wie es ist, ohne viel zu hinterfragen, sicherlich durchaus gute Unterhaltung. Basierend auf – mehr oder minder – wahren Begebenheiten…

Die Autorin
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Heidi@Home


Forum

  • enthält leichte Spoiler zu "Der Butler"

    Vielleicht bin ich naiv, aber ich erwarte mir von einem "Based on a true story"-Film, dass die wichtigsten Storywendungen auch so stattgefunden haben.

    Am Sonntag lief "Der Butler" im ORF. Am Anfang des Films (1926 in Georgia bei der Baumwollernte) wird die Mutter des Butlers (als er ein Kind ist) vom Farmbesitzer vergewaltigt und sein Vater vor den Augen mehrerer Feldarbeiter kaltblütig erschossen, weil der es wagt, danach zu einem leisen Protest mit einem "Hey" anzuheben. Die Leiche des Vaters wird einfach verscharrt und der Mörder lebt sein Leben unbehelligt weiter. Die alte Mutter des Mörders sagt mitleidig zum Kind: Ich hol dich ins Haus. Ich mach einen guten Hausni---- aus dir. 1926 in Georgia. Ich war schockiert, bis ich las, dass diese Begebenheit frei erfunden ist.

    Und dann dachte ich mir, das kauf ich euch nicht ab. Ich glaube einfach nicht, dass das 1926 selbst im tiefsten Süden noch so abgelaufen sein könnte, dass der Weiße nicht einmal mit der Polizei zu tun bekommt. Der Film war für mich gelaufen und ich sah ihn nur mehr zappend weiter. Er schien mir nicht sehr gut zu sein, eine sentimentale, konstruierte History-Revue für Afroamerikaner im Hinblick auf Bürgerrechte, mit Präsidenten als Cameos.
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    08.11.2016, 22:36 Uhr