Festivals, Venedig
Neun Tage Venedig – Highlights, Enttäuschungen und der grandioseste Filmtag in Jahren

Neun Tage Venedig – Highlights, Enttäuschungen und der grandioseste Filmtag in Jahren

Die High- und Lowlights der 80. Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Ein Bericht von Michael Gasch
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von (MichaelGasch)
Jahrelang hatte ich mit Filmfestivals nicht viel am Hut. Mittlerweile bin ich nach den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes und nun auch noch Venedig jedoch auf den Geschmack gekommen. Ich muss mich dafür wohl an erster Stelle bei meinen Autorenkollege Phillippe von cinemaforever.net dafür bedanken – und auch bei den Seiten, die ich mit Beiträgen versorgt habe, darunter uncut.at. Nach zwei Stunden Flugzeug-Verspätung kam ich am 30.08.23 an. Bis zum 08.09.23 lagen fortan abenteuerliche Tage vor mir, inklusive den neuen Filme von David Fincher, Wes Anderson, Michael Mann, Sofia Coppola, Yorgos Lanthimos u.v.m. Ein Tag sticht dabei besonders heraus, der wohl sehr lange im Gedächtnis hängen bleiben wird. Doch von vorn.

Wie schon im letzten Venedig-Resümee vom Autorenkollegen Christian Pogatetz fing auch bei mir das Abenteuer mit dem Ticket-System für das Buchen der einzelnen Filmvorführungen an. Wer hätte es gedacht, auch in diesem Jahr sorgten die tausende Journalisten für Serverüberlastungen. Die logische Folge: Warten, warten, warten. Und Daumen drücken, dass am Ende überhaupt noch Tickets für die ausgewählten Filme übrig sind. Mit dem Wissen, welche Buttons man im Ticket-System drücken sollte und welche nicht (ja – dies gilt es erst einmal herausfinden, wenn man nicht gerade heiß darauf ist, weitere zwei Stunden zu warten), und stabilen Servern stand der Kinomagie irgendwann nichts mehr im Wege.

Und so folgten am ersten Tag direkt drei heißerwartete Filme: Michael Manns rasanter „Ferrari“, Nikolaj Arcels Geschichtsdrama „King's Land“ und Wes Andersons Kurzfilm „Ich sehe was, was du nicht siehst“ (The Wonderful Story of Henry Sugar). Die Kritiken sind verlinkt, also belasse ich es bei einem Kurzurteil: Michael Mann verspielt etwas an Potential, haute mich mit einer Szene aber total aus den Socken. Nikolaj Arcel lässt das Geschichtsdrama hoch aufleben und Wes Anders macht mal wieder Wes Anderson Sachen, wer hätte es gedacht. Sein Kurzfilm ist, anders als sein wackeliger letzter Film „Asteroid City“, durchaus sehr gut gelungen. Bisher gab es also wenig zu beanstanden, die Kritiker waren sich halbwegs einig.

Ich sehe was, was du nicht siehst Bild aus dem Film „Ich sehe was, was du nicht siehst“ (Netflix)


Tag Zwei versprach mit „Poor Things“ und „Aggro Dr1ft“ „gehobeneres“ Kino. „The Palace“, den es dazwischen auch noch gab, wird aus diversen Gründen ignoriert. Auch wenn ich ersteren als „Crowd-Pleaser“ empfinde, geistert Yorgos Lanthimos neuer Film noch immer in meinem Kopf herum. Ich muss dazusagen, dass ich den Ausdruck in diesem Fall nicht wie sonst üblich als „Publikumsliebling“ auslege, sondern mehr im Kontext von „das Publikum befriedigen oder amüsieren“ ansetze. Während ich Lanthimos mit makaberen ernsten Geschichten assoziiere, gab es bei seinem neuen Werk nicht gerade wenig Gelächter in den Reihen um mich herum, was für meine Rezeption eher für Ablenkung sorgte. „Aggro Dr1ft“ als Schlusslicht gehört wohl zu der Sorte Film, die sich pudelwohl auf Filmfestivals fühlen. Es handelt sich um experimentelles Kunstkino, das kaum verrückter ausfallen könnte. Sehr schwer zu bewerten!

Aggro Dr1ft Bild aus dem Film „Aggro Dr1ft“ (Filmverleih)

Langsam lebte es sich in Venedig ein, die obligatorischen Pizzen, Espressos und süßen Gebäck-Kreationen wurden zum Alltag. Die cineastischen Enttäuschungen, die mit „The Palace“ ihren Anfang nahmen, ließen mit „Adagio“ und „The Beast“ nicht lange auf sich warten. Typisch verkünsteltes Kunstkino – gar nicht mein Fall. So flüchtete ich nach dem eher soliden „Maestro“ in „Der Killer“ und bekam genau das, worauf ich gehofft habe: Peppiges Actionkino, welches John Wick alt aussehen lässt. „Die Theorie von Allem“ kam hinzu, ein ebenfalls grandioser Film und das auch noch aus Deutschland! Bei so viel Euphorie werden die bisherigen Enttäuschungen direkt aus dem Kopf gefegt. Und dann folgte der 04.09. – der schönste Filmtag, den man sich nur wünschen kann.

Die Theorie von Allem Bild aus dem Film „Die Theorie von Allem“ (Stadtkino, Neue Visionen Filmverleih)


Nach dem Pflicht-Espresso, um nicht in der Früh einzuschlafen, ging es zuerst in Woody Allens „Ein Glücksfall“. Endlich mal wieder ein gelungener Film von ihm, wodurch sich schon das erste Grinsen bis hin zu den Ohren einstellte. Unmittelbar danach ging es in „Priscilla“, in dem Sofia Coppola erneut ihr Talent für außerordentlich gut geschriebene Frauenfiguren unter Beweis stellte. Das Grinsen im Gesicht wird aufgrund der steigenden filmischen Qualität immer breiter. Anschließend ging es in die Pressekonferenz zu Priscilla, in der auch die titelgebende Frau (die erste und einzige Ehefrau von Elvis Presley!) anwesend war. Wenn plötzlich in die Geschichte eingetaucht wird und das Leben von Elvis im Raum steht, ist das schon ein bewegender Moment. Ein Gefühl unsagbarer Dankbarkeit stellt sich ein, nicht nur, dass man dies unmittelbar miterleben darf, sondern auch weil Coppola der ganzen Geschichte mit ihrer Verfilmung alle Ehre macht. Es ist ein großer Film, der mich von allen Venedig-Vorführungen am meisten bewegt hat. Dass am Ende des Tages Richard Linklaters „Hit Man“ zusätzlich wie eine absolute Bombe einschlug, hatte wohl niemand gerechnet – zumal es zu dem Film absolut keine Informationen, sondern nur ein Filmcover gab. Es war zudem der einzige Film im Rahmen des Festivals, bei dem ich für einen kurzen Moment vergaß, dass um mich herum Journalisten und Pressevertreter sitzen. Aufgrund von minutenlangen Gelächter in sämtlichen Reihen (und dem Gefühl, dass viele ihre Notizblöcke einmal weglegten und einfach nur Spaß mit dem Film haben) fühlte es sich vielmehr nach Kino mit einem richtigen Publikum an. Drei Filme an einem Tag, die auf ihre eigene Art eine Punktlandung treffen, gab es in den letzten zehn Jahren Filmkonsum noch nie. Ein unvergesslicher Moment, der direkt Lust auf mehr Filmfestspiele macht.

„Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist“ heißt es bekanntlich so schön und schöner hätte es wohl kaum kommen können. Nach dem Tag standen nur noch optionale Werke an, bei denen die gelungene Komödie „Daaaaaali!“ das Schlusslicht bildete und ein weiteres Mal für ordentliches Gelächter sorgte.
Daaaaaali! Bild aus dem Film „Daaaaaali!“ ()

Während der Rest die letzten Tage weiterhin in die Säle strömte und alle kleineren Kunstfilme schaute (die nach gewissen Kritikerstimmen eh nicht sonderlich gut ausfielen) schaute ich mir Venedig an. Abwechslung muss sein. So kamen die Filmfestspiele klassisch zu einem Ende: Es gab große wie kleine Kunst- und High-End-Filme und eine doch recht offensichtliche Auffälligkeit. Das Thema des bezahlten Tötens (Aggro Dr1ft, The Killer, Hit Man, In the Land of Saints and Sinners) als auch Biopics (Ferrari, Maestro, Priscilla, Daaaaaali) scheinen aktuell im Trend zu sein. Zündfeuer für die Boulevardpresse (siehe „Don't Worry Darling“ aus dem letzten Jahr) und Skandale gab es zwar nicht, jedoch muss ich ganz klar fragen: Wer braucht dies schon?

Die 80. Edition der Filmfestspiele von Venedig lässt sich daher als geglückt bezeichnen. Die Quote an guten Filmen kann sich sehen lassen und schon jetzt fiebere ich einigen Zweitsichtungen entgegen. Ein gut gemeinter Rat: packt euch sofort „Der Killer“, „Hit Man“ und „Priscilla“ auf eure Watchlist.