Filmkritik zu Vera

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    Von Töchtern und Vätern und der Reise ins wahre Leben

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Vera Gemma, Tochter des italienischen Schauspielstars Guiliano Gemma, spielt - sich selbst. „Vera“ ist allerdings keine Dokumentation über die ewige Tochter des berühmten Vaters, sondern zeigt fiktionalisierte Episoden aus ihrem Leben. Der Film begleitet Vera – manchmal schon mit annähernd dokumentarischem Blick – auf ihrer Suche nach der eigenen Identität, nach Schönheit und vor allem nach dem wahren Leben. Denn die Erfahrung von wahrem Leben ist es, was Künstler*innen erst zu Künstler*innen macht, so Vera. Auf Partys und bei Castings scheint sie dies nicht zu finden. In der Glamour-Welt scheint sie in ihrer Rolle als weniger hübsche Tochter des attraktiven Filmstars eingeschrieben zu sein. Oder dem für Rollen gesuchten Schönheitsideal nicht zu genügen. Doch dann lernt Vera Daniel und Manuel kennen, ein Vater-Sohn-Gespann, das in ärmlichen Verhältnissen lebt. Sie baut eine Beziehung zu ihnen auf, wird Teil einer Familie inklusive Nonna. Hier kann sie unterstützen und kann an deren Wärme teilhaben. Ihr loyaler Chauffeur Walter warnt Vera allerdings vor der kriminellen Energie, die vom Vater des Buben ausgeht. Vom Vater mit all seinen Tattoos, die den Kampf zwischen Gut und Böse darstellen – ein Thema, mit dem der Film gekonnt spielt. Kann und soll Vera den beiden trotz der Warnungen und den Ereignissen trauen? Macht Armut kriminell? Oder wird Vera nur ausgenutzt wie von anderen Männern wie etwa einem Möchtegern-Regisseur?

    Der Film zieht die Spannungsschraube in den menschlichen Momenten an. Innere und äußere Konflikte inklusive. Der nahe Blick ins weniger glamouröse Leben und die Härte in so manchem Vorort Roms macht fast greifbar, wonach Vera sucht. Wann und wo sie sie selbst sein kann und nicht mehr nur die hässliche Tochter des schönen Stars ist. „Vera“ zeigt ebenso eine Frau, die andere unterstützen will, ihnen Mut machen will, ihr Glück zu finden.

    Die Nebenfiguren sind, auch wenn dabei das eine oder andere Klischee bedient wird, mit viel Liebe gestaltet. Und für Filmfans und Philosophen ist wahrscheinlich ein Gespräch zwischen Vera und Asia Argento, ebenfalls Tochter eines berühmten Vaters – Dario Argento – ein Highlight: Vor dem Grab von Goethes namenlosem Sohn fühlen sie die Verbundenheit, die eine Festschreibung als Kind eines bekannten Vaters, das nie für sich selbst steht, mit sich bringt.

    „Vera“ bietet großartige Momente, spannende Konflikte, manchmal leisen, manchmal bitteren Humor. Untermalt wird die Szenerie mit Italo-Soundtrack und der einen oder anderen Gesangseinlage, die das Leben so richtig spüren lassen. Der Film ist fiktionales, aber persönliches, fast intimes Porträt und zeigt, dass Vera Gemma eben Vera Gemma ist und nicht nur Tochter des schönen, berühmten Vaters Guiliano Gemma.

    Vera Gemma ist sensationell als Vera Gemma. Für ihre Darstellung erhielt sie in der Orizzonti-Schiene bei den Filmfestspielen Venedig die Auszeichnung als beste Darstellerin. Ebenso erfolgreich in Venedig ist das Regie-Paar Tizza Covi und Rainer Frimmel. Mit „Vera“ schafft Vera Gemma etwas, wonach sie strebt: die Loslösung von ihrem berühmten Vater.
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    (Ursula Rathensteiner)
    21.10.2022
    12:11 Uhr
    Cinephile bevorzugt!
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