Fremont

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Forumseintrag zu „Fremont“ von UR_000

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UR_000 (10.01.2024 18:08) Bewertung
Wichtige, vielleicht sogar magische Botschaft im Keks
Exklusiv für Uncut
Babak Jalali zeichnet in „Fremont“ ein stilles, tiefgründiges und zugleich unterhaltsames Porträt einer Frau, der es schwerfällt, zu akzeptieren, dass auch sie ihr Glück finden darf. Der Film in Schwarz-Weiß-Bildern ist auch ein wenig Hommage an Glückskekse. (Eine großartig geglückte Hommage, aber dazu später mehr.) Neben der Hauptdarstellerin Anaita Wali Zada darf (allerdings spät im Film) Jeremy Allen White („The Bear“) als schräger, unbeholfener Automechaniker sein Können zeigen.

Donya hat ihren gefährlichen Alltag in Afghanistan hinter sich gelassen. Die Übersetzerin konnte in die USA flüchten und arbeitet dort in der Glückskeks-Produktion. Ihr Leben ist geprägt vom Arbeitstrott, Schuldgefühlen und Schlaflosigkeit. Ein engagierter Psychiater und die Glückskekse bringen sie langsam aus ihrer eigentlich weniger glückbringenden Komfortzone.

Wer schon immer wissen wollte, wie Glückskekse auf den Teller kommen, wird hier aufgeklärt. Gleich zu Beginn wird das Geheimnis gelüftet: Jeder einzelne Handgriff von Donya, ihrer Kollegin und Freundin Joanna, anderen Kolleg*innen und von Fan, der Verfasserin der vielleicht sogar magischen Zukunftsbotschaften, wird eingefangen. Im Gleichklang wird Teig gerührt, aufgestrichen, gebacken, die Vorhersage versteckt und eingetütet. Donyas Chef ist überzeugt, dass die Glückskekse mächtig sind. Einfach köstlich ist seine übertrieben ernsthafte, fast ehrfürchtige Einschulung, als Donya zur Autorin befördert wird. Ein Job, der sie kreativ und mutiger werden lässt. Mit einer genialen Botschaft.

Der Leichtfüßigkeit rund um die Macht der Glückskekse wird Donyas Zerrissenheit entgegengesetzt. Als Übersetzerin für die Amerikaner ist sie in ihrem Land eine Verräterin, in den USA nicht wirklich zu Hause. Der Gewalt in ihrer Heimat konnte sie zwar entfliehen, ihre Vergangenheit allerdings nicht gänzlich hinter sich lassen. Gemeinsam mit einem Psychiater erörtert sie die Frage, ob sie überhaupt ein Recht hat, glücklich zu sein, ein Recht auf Liebe hat. In den Sitzungen werden ihre Geschichte, ihre Entwurzelung und ihr komplexer Status erörtert. Eine Geschichte mit viel Dramatik, die behutsam und facettenreich erzählt wird.

Ein bisschen Halt bieten ihre Kollegin Joanna, die Donya in Sachen Liebesleben auf die Sprünge helfen will, und, trotz eines ambivalenten Verhältnisses, die Community in Fremont. Darunter ein Koch mit Hang zu Seifenopern. Diese Begleiter bekommen zwar nicht allzu viel Tiefe, ihr Porträt ist aber liebevoll und unterhaltsam.

Das originelle Drehbuch lässt die Macht der Glückskekse seine Wirkung entfalten. Donya bekommt eine geheimnisvolle Nachricht und macht sich auf die Suche nach „dem Hirsch“. Schräge, aber auch vielsprechende Begegnungen inklusive.

„Fremont“ konzentriert sich ganz auf seine Hauptfigur. Detailreich, behutsam und langsam wird Donyas Vergangenheit aufgerollt, ihre Gegenwart porträtiert und ihre Zukunft angedeutet. Dank kreativ-schräger Einfälle, Nebenfiguren mit ihren Eigenheiten und der trotz politisch-sozialer Tiefe nicht trocken präsentierten Geschichte vermag der Film zu unterhalten, in manchen Momenten sogar zu verzaubern. Wenn man sich auf die Schwarz-Weiß-Bilder, das langsame Tempo und den Fokus auf die Figuren einlässt. Eine Filmperle, die sich lohnt.

Vielleicht wird man Glückskekse und ihre Botschaft von nun an mit anderen Augen betrachten … (oder zumindest möglichst bald eines in die Finger bekommen wollen).
 
 

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