Hello Dankness

Bewertung durch UR_000  95% 
Durchschnittliche Bewertung 95%
Anzahl der Bewertungen 1

Forumseintrag zu „Hello Dankness“ von UR_000

img20220906174347_4f70242d41.jpg
UR_000 (02.10.2023 20:45) Bewertung
Hello Dankness, my new friend
Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
Selten ist es so schwierig, einen Film und das, was man beim Anschauen erlebt hat, zu beschreiben. Für „Hello Dankness“ müsste man vielleicht Worte erfinden oder sie – als eine Art Huldigung – aus der Kinokultur nehmen: Superkalifragilistikexpialigetisch, ungezähmt, ein wenig uncanny, wenn die fast unglaubliche Realität allzu realistisch eingeflochten wird, oder auch eine Spur Psycho. Die Liste, mit Titelzitaten, die auf Einzigartiges, Außergewöhnliches und Großartiges anspielen, ließe sich fortsetzen.  
 
Das käme allerdings nie an die akribische Arbeit und die kreative Leistung von Soda Jerk heran, aus deren Köpfen die genial gesampelte Satire „Hello Dankness“ stammt. Das australische Geschwisterpaar, das seine Zelte in den USA aufgeschlagen hat, hat sich im Grenzbereich zwischen Dokumentation, Kunstfilm und experimenteller Fiktion mit einigen Arbeiten einen Namen gemacht. Die Leidenschaft für Film und Bilder spürt man auch beim neuesten Projekt der Schwestern. Die anarchische Herangehensweise ebenso. Wieder besteht der Film aus anderen Filmen. Zeigt bekannte Figuren, Bilder und Szenen, neu zusammengeschnitten, konzeptioniert und ungewohnt angeordnet. 
 
Mittlerweile muss das Duo sein Filmmaterial nicht mehr von geborgten VHS-Kassetten und DVDs beziehen, dank Internet gibt es leichteren Zugang. Bilder, auch bewegte, verbreiten sich schnell. Ein Thema, das in „Hello Dankness“ aufgegriffen und verarbeitet wird. Der Film beleuchtet mit satirischer Präzision, wie sich das gesellschaftliche und politische Klima in den USA rund um die Wahl und während der Amtszeit von Donald Trump verändert hat. Und das mit Filmen und Serien. Mit älteren, vermehrt aus den 80ern und 90ern, aber auch mit aktuelleren.  
 
„Hello Dankness“ führt das Publikum in einen typischen amerikanischen Vorort und stellt die Nachbarschaft vor. Mit einer Erzählerstimme aus dem Off, die zwischen den Dialogen klug kommentiert. In der Straße gibt es Fans von Bernie Sanders, aber auch Anhänger*innen von Hillary Clinton. Es leben aber genauso Unterstützer von Donald Trump dort. Außerdem klebt ein Jesse Eisenberg als Mark Zuckerberg an seinem PC und plant sein Social Network. So viele verschiedene Ansichten und Agenden auf einem Fleck. Soda Jerk verfolgen in ihrem Film die Entwicklungen in der Nachbarschaft anhand großer Ereignisse wie der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten, dem Aufkommen verschiedenster Verschwörungstheorien bis hin zu Corona-Lockdowns und der Amtsablöse durch Joe Biden.  
 
Für Filmfans ist diese Nachbarschaft einfach eine nostalgische Goldgrube: Tom Hanks, Annette Bening, Seth Rogen, Ice Cube, Bruce Dern und viele andere Stars in einigen ihrer Paraderollen. Manchmal eine spannende Erinnerung daran, dass diese auch einmal jung waren. Es reihen sich Szenen aus „Wayne’s World“ an „American Beauty“, die Teenage Mutant Ninja Turtles haben genauso ihren Auftritt wie die Würstchen von „Sausage Party“. Das sind nur einige der Filme, deren Szenen in eine neue Ordnung und einen neuen Kontext gebracht werden, um kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen zu diskutieren. Ganz überraschend dürfte es nicht sein, dass ebenso unzählige Zombiestreifen Material liefern …  
 
„Hello Dankness“ spielt zudem mit Genres und Gegenwartskultur. Es ist Drama, Horror, Katastrophenfilm, Polit-Thriller, Buddy-Komödie, Tanzfilm und Musical. Einige bekannte Lieder aus der Popwelt sind verfremdet, andere untermalen in satirischer Überspitzung die Szenen. Schon der verweist auf Simon & Garfunkels „The Sound of Silence“ und macht sich die Vieldeutigkeit des Begriffes ‚dankness‘ zunutze. Genial gelöst, Gänsehautpotenzial. Vor allem, wenn man Musicallieder schätzt.  
 
„Hello Dankness“ erzählt Geschichte nach, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie passiert. Nah dran, mittendrin und auf ganz eigene Art und Weise. Reflektierend, mit einer historischen Unterfütterung durch die Clips und Szenen aus der Filmgeschichte. Ein Rückblick, ein Kommentar, ein Ausblick. Wahrscheinlich. Gleichzeitig leicht und manchmal einfach nur komisch. Und nostalgisch (für Filmfans). Mehrere hundert Filme und andere mediale Szenen haben Soda Jerk – anarchisch, ohne sich Rechte oder Erlaubnis zu sichern – verwendet, um die Geschichte von „Hello Dankness“ zu erzählen. Eine genaue Auflistung inklusive Verortung in den Amtszeiten einiger US-Präsidenten gibt es im Abspann. (Leider zieht dieser ziemlich schnell vor dem Auge vorbei, man schafft gar nicht alles zu lesen.) Eine Hommage und gleichzeitig ein Denkanstoß, wie Bilder verwendet werden können, wie sich ihre Aussage verändert, wenn sie in ungewohnter Form auftauchen, manipuliert werden.  
 
Ein spannender Aspekt des Films ist, dass ihn jede*r im Publikum ganz anders wahrnehmen kann, weil die eigene Sozialisierung und vor allem die eigenen Sehgewohnheiten, also das Filmwissen, beeinflussen, was wie erkannt, aufgenommen und interpretiert wird.  
 
Die Verwendung anderer Filme ist für Liebhaber*innen großartig, allerdings kann es passieren, dass man mehr darüber nachdenkt, welcher Streifen oder welche Stars da gerade zu sehen sind. Oder gar in Nostalgie versinkt, in Gedanken die Musicalnummern mitsingt oder es kaum glauben kann, wie die Zeit vergeht, wenn ein blutjunger Star auf der Leinwand auftaucht. Das lenkt ein bisschen vom Inhalt ab. Für Eingeweihte funktioniert das Konzept von „Hello Dankness“ wohl gut, Vertrautes mischt sich mit Neuem. Können Zuseher*innen kaum etwas wiedererkennen, verblasst die Magie der Bilder etwas. Verfremdung und Manipulation sind wohl nicht mehr allzu deutlich, wenn man mit den Originalen gar nichts anfangen kann. Vermutlich wird es allerdings kaum jemanden geben, der nicht wenigstens mit ein paar Szenen schon vorher in Berührung gekommen ist.  
 
„Hello Dankness“ ist ein einzigartiges Erlebnis, das sich nicht mehr wiederholen lässt. Etwas ganz Besonderes. Der Film ist kein gewöhnlicher Film, keiner, der regulär im Kommerzkino zu sehen sein wird. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass die Filmszenen ohne Rechte und Erlaubnis verwendet wurden. Daher ist ein Weg über Festivals und Spezialprogramme vorgezeichnet. Außerdem wird das zweite Mal, falls man überhaupt irgendwie zu der Möglichkeit kommt, wahrscheinlich andere Aspekte ins Auge rücken.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Hello Dankness“
zurück zur Userseite von UR_000