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85% Bewertung
  • Bewertung

    Wunderschön

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Im Eröffnungsfilm der Viennale 2022 zeichnen Tizza Covi und Rainer Fimmel das Porträt einer Frau, die für die Schönheit einsteht, auch wenn die Welt um sie herum noch so hässlich ist.

    Vera Gemma lebt ein Jet-Set-Leben in Roms High Society. Ihr Vater war ein berühmter Italowestern Darsteller, sie selbst hat den großen Sprung zur Schauspielkarriere nie geschafft. Unter der Fassade der Prominenz schlummert aber eine sanfte Seele, auf der Suche nach einer echten Verbindung. Als eines Tages durch einen Unfall der 9-jährige Manuel und sein Vater Daniel in ihr Leben treten, scheint ihr das Schicksal genau das zu geben.

    Das Thema Schönheit zieht sich von Beginn an durch Veras Leben, wie auch durch den Film. Guiliano Gemma galt als wahres Schönheitsideal, dem sie nie gerecht werden konnte. Das Resultat sieht man ihr im Gesicht an. Eine lange Reihe von Operationen und Faceliftings von Kindheit an, haben sie in ein Gebilde verwandelt, das kaum noch Regungen zulässt. Und sie hat immer noch nicht genug. Nach wie vor trifft man sie beim Chirurgen an, zu tief sitzt das Trauma. Leider vereiteln ihr die Eingriffe aber immer mehr die Chance auf Rollen, eine Absage jagt die nächste. Aber ein Foto mit ihr wünschen sich alle noch, sie stammt ja schließlich von einer Legende ab. Tapfer kommt sie den Bitten nach, nur um jemandem eine Freude zu machen. So sonnt sie sich nebenbei in dem letzten bisschen Rampenlicht, das ihr gewährt ist, und das durch den gewaltigen Schatten dringt, den ihre Herkunft über ihr Leben wirft.

    Selbst für ihren Liebhaber ist die Beziehung nur Mittel zum Zweck, ihre Bekanntheit ein Sprungbrett. Was sie zu sagen hat interessiert ihn kaum, sogar Komplimente über sein gutes Aussehen schafft er irgendwie negativ aufzufassen. Viel lässt sie über sich ergehen aus Sehnsucht nach Nähe. Generell entpuppen sich meist die nach außen hin makellosen Figuren als innerlich scheußlich. Dass wahre Schönheit von innen kommt ist eben nicht nur ein Kalenderspruch.

    Das Regieduo, das ursprünglich vom Dokumentarfilm kommt, inszeniert getreu ihren Wurzeln eine semiautobiographische Nacherzählung von Veras eigener Geschichte, sie mimt dabei sich selbst. Und das ist viel schwieriger als so mancher anerkennen mag, wie die Schauspielerin selbst nach der Vorführung klarstellt. In Venedig wurde sie für diese Leistung aber zurecht prämiert. Trotz der erwähnten Grenzen ihrer Mimik, schafft sie es dem Zuschauer ihre aktuelle Gefühlslage jederzeit zu vermitteln, als würde sie eine Maske tragen, die wir dennoch durchschauen. Man fühlt ihre Freude, ihre Sehnsucht, ihren Schmerz. In den Nebenrollen wurden hauptsächlich Laiendarsteller besetzt, die Geschichte teilweise um diese herum geschrieben. Manche Momente sollen direkt aus dem Leben gegriffen sein, andere mehr fiktional. Gedreht wurde dazu unüblicherweise chronologisch, mit dem Ziel eine Geschichte und Beziehung auf die Leinwand zu bannen, die sich durch und durch echt anfühlt. Und das spürt man.

    Das Leben ist schön. Ein Besuch im Lieblingskino, ein Eis in der Sommerhitze oder ein Abendessen mit der neu gewonnenen Familie. „Künstler sollen auch leben“, sagt Vera selbst. Manuel und Daniel nehmen sie sehr schnell in ihren engen Kreis auf und geben ihr ein Gefühl von Geborgenheit, das sie schon lange vermisst hat. Sie haben nicht viel und teilen es doch mit ihr. Unglücklicherweise ist es Veras so vertrauensvolle Art, in jedem das Positive zu sehen, die ultimativ dazu führt, dass sie sich von den falschen Personen blenden lässt, und das Unschöne nicht erkennt.

    Tizza Covi erzählte im Filmgespräch, dass erst die Überwindung ihrer eigenen Vorurteile überhaupt dazu geführt hatte, dass sie Vera kennen lernte und der Film entstehen konnte. Wenige Filme haben dieses Prädikat wirklich verdient, aber „Vera“ ist schlichtweg wunderschön - genauso wie seine titelgebende Hauptfigur.
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    23.10.2022
    10:42 Uhr
  • Bewertung

    Von Töchtern und Vätern und der Reise ins wahre Leben

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Vera Gemma, Tochter des italienischen Schauspielstars Guiliano Gemma, spielt - sich selbst. „Vera“ ist allerdings keine Dokumentation über die ewige Tochter des berühmten Vaters, sondern zeigt fiktionalisierte Episoden aus ihrem Leben. Der Film begleitet Vera – manchmal schon mit annähernd dokumentarischem Blick – auf ihrer Suche nach der eigenen Identität, nach Schönheit und vor allem nach dem wahren Leben. Denn die Erfahrung von wahrem Leben ist es, was Künstler*innen erst zu Künstler*innen macht, so Vera. Auf Partys und bei Castings scheint sie dies nicht zu finden. In der Glamour-Welt scheint sie in ihrer Rolle als weniger hübsche Tochter des attraktiven Filmstars eingeschrieben zu sein. Oder dem für Rollen gesuchten Schönheitsideal nicht zu genügen. Doch dann lernt Vera Daniel und Manuel kennen, ein Vater-Sohn-Gespann, das in ärmlichen Verhältnissen lebt. Sie baut eine Beziehung zu ihnen auf, wird Teil einer Familie inklusive Nonna. Hier kann sie unterstützen und kann an deren Wärme teilhaben. Ihr loyaler Chauffeur Walter warnt Vera allerdings vor der kriminellen Energie, die vom Vater des Buben ausgeht. Vom Vater mit all seinen Tattoos, die den Kampf zwischen Gut und Böse darstellen – ein Thema, mit dem der Film gekonnt spielt. Kann und soll Vera den beiden trotz der Warnungen und den Ereignissen trauen? Macht Armut kriminell? Oder wird Vera nur ausgenutzt wie von anderen Männern wie etwa einem Möchtegern-Regisseur?

    Der Film zieht die Spannungsschraube in den menschlichen Momenten an. Innere und äußere Konflikte inklusive. Der nahe Blick ins weniger glamouröse Leben und die Härte in so manchem Vorort Roms macht fast greifbar, wonach Vera sucht. Wann und wo sie sie selbst sein kann und nicht mehr nur die hässliche Tochter des schönen Stars ist. „Vera“ zeigt ebenso eine Frau, die andere unterstützen will, ihnen Mut machen will, ihr Glück zu finden.

    Die Nebenfiguren sind, auch wenn dabei das eine oder andere Klischee bedient wird, mit viel Liebe gestaltet. Und für Filmfans und Philosophen ist wahrscheinlich ein Gespräch zwischen Vera und Asia Argento, ebenfalls Tochter eines berühmten Vaters – Dario Argento – ein Highlight: Vor dem Grab von Goethes namenlosem Sohn fühlen sie die Verbundenheit, die eine Festschreibung als Kind eines bekannten Vaters, das nie für sich selbst steht, mit sich bringt.

    „Vera“ bietet großartige Momente, spannende Konflikte, manchmal leisen, manchmal bitteren Humor. Untermalt wird die Szenerie mit Italo-Soundtrack und der einen oder anderen Gesangseinlage, die das Leben so richtig spüren lassen. Der Film ist fiktionales, aber persönliches, fast intimes Porträt und zeigt, dass Vera Gemma eben Vera Gemma ist und nicht nur Tochter des schönen, berühmten Vaters Guiliano Gemma.

    Vera Gemma ist sensationell als Vera Gemma. Für ihre Darstellung erhielt sie in der Orizzonti-Schiene bei den Filmfestspielen Venedig die Auszeichnung als beste Darstellerin. Ebenso erfolgreich in Venedig ist das Regie-Paar Tizza Covi und Rainer Frimmel. Mit „Vera“ schafft Vera Gemma etwas, wonach sie strebt: die Loslösung von ihrem berühmten Vater.
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    21.10.2022
    12:11 Uhr