Filmkritik zu Snowpiercer

Bilder: MFA+, Thim Filmverleih Fotos: MFA+, Thim Filmverleih
  • Bewertung

    Rasanter Kampf um die erste Klasse

    Exklusiv für Uncut
    Dass aufgrund der globalen Erwärmung plötzlich die Erde einfrieren kann, hat uns bereits Roland Emmerich auf mehr oder weniger spannende Art und Weise gezeigt. In „Snowpiercer“ ist das Ergebnis zwar dasselbe, jedoch wurde hier die neue Eiszeit gleich in doppelter Hinsicht vom Menschen verschuldet. Denn um die selbstverursachte Erderwärmung zu stoppen, setzt die im Film stets etwas zweifelhaft dargestellte Menschheit auf ein dubioses Kältemittel. Doch frei nach dem Motto „Operation gelungen, Patient tot“, hören die Temperaturen nicht auf zu sinken. All das erfährt man bereits im Vorspann und mit dem ersten Bild wird auch sogleich der eigentliche Handlungsort etabliert: Ein riesiger Zug fährt (oder besser gesagt rast) durch eine verschneite Landschaft. Doch was romantisch klingt, ist in Wahrheit ziemlich düster. Denn an Bord dieser modernen Arche („Snowpiercer“ ist im Übrigen der bessere „Noah“) befinden sich die letzten Überlebenden der Menschheit. Und in bester „Speed“-Manier heißt es: Bleibt der Zug stehen, stirbt auch der letzte Rest. Schnell merkt man, dass es bei diesem Sci-Fi-Spektakel nicht viel Sinn macht, mit dem Finger auf die in regelmäßigen Abständen auftretenden Logiklöcher zu zeigen.

    Bei der Darstellung der Insassen des Zuges ist zumindest im Ansatz ein Bemühen zu erkennen, einen Querschnitt der Erdbevölkerung zu repräsentieren. Und wie es auch auf der Erde der Fall ist, herrscht auch im Mikrokosmos des Zuges extreme soziale Ungerechtigkeit. Wobei wir auch bei den eigentlichen Themen des Films wären: Revolution und die Überwindung von Klassengrenzen. Denn der Zug ist – wie eigentlich fast jeder Zug – in zwei Klassen unterteilt. Die Bewohner der zweiten (und zugleich letzten) Klasse fristen ihr Dasein im Dreck und ohne Sonnenlicht. Und wie es sich für einen Endzeitkracher gehört, müssen sie sich von schleimigen Proteinklumpen ernähren. Die Stofffetzen in die sie sich hüllen, könnten zudem Überbleibsel des Drehs von „Mad Max 2“ sein. Erst schrittweise erfährt man von der vorherrschenden paradiesischen Dekadenz in der ersten Klasse, die den hinteren Teil des Zuges systematisch unterdrückt. Und das bereits seit 17 Jahren, denn so lange ist der Zug nunmehr schon unterwegs. Ed Harris verkörpert dessen Architekten und Schöpfer. Als eine Mischung aus Messias und Diktator wird er von einer für totalitäre Systeme typischen riesigen Propagandamaschinerie zum Mythos stilisiert und bildet zusammen mit der von ihm kreierten Maschine eine Art heilige „Zweifaltigkeit“.

    Die Gegenüberstellung des vorderen und hinteren Ende des Zuges erinnert dabei stark an Fritz Langs Klassiker „Metropolis“ oder könnte auch direkt aus der Feder von Karl Marx stammen. Durchaus interessant ist dabei, dass der Zug eine Heterotopie (also einen Gegenort) darstellt, wie es der französische Philosoph Michel Foucault ausdrücken würde. Interessant deshalb, weil in diesem Gleichnis die Begriffe „Zug“ und „Erde“ synonym verwendet werden können und sich das menschliche Schicksal somit an einem Ort entscheidet, der sich eigentlich außerhalb der gesellschaftlichen Norm befindet. Schon weniger verwundert diese Tatsache jedoch, wenn man bedenkt, dass es immerhin die Eisenbahn war, die – zusammen mit der Schifffahrt – weitläufigen Handel ermöglichte und somit nicht unbeteiligt am Siegeszug des Kapitalismus war. Hier schließt sich wieder der Kreis zur Marx-artigen Revolutionsphantasie.

    Trotz politischer Ambitionen, handelt es sich allerdings in erster Linie um hochwertiges Unterhaltungskino. Deshalb seien dem Film auch einige Ausrutscher und fragwürdige Botschaften verziehen. Angeführt wird die Revolution der Unterschicht von Captain America-Darsteller Chris Evans. Dieser träumt von sozialer Gerechtigkeit, während er sich mit seinen Anhängern computerspielartig Level für Level in die vorderen Gefilde des Zuges vordringt und einen Endgegner nach dem anderen ausschaltet. Begleitet werden Sie auf ihrem Weg von der ebenso kreativen, wie auch innovativen und erfrischenden Regie des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho, der in der westlichen Welt vor allem durch „The Host“ die Aufmerksamkeit von Genrefans erregte. „Eine Blockbusterproduktion mit unvorhersehbarer Handlung“, wird die vor sich gehende Revolution im Film einmal bezeichnet. Selbstreferenzielle Worte, die „Snowpiercer“ nicht besser beschreiben könnten. Denn obwohl es ein Blockbuster ist, bemerkt man bei dieser internationalen Produktion an allen Ecken und Enden, dass der Film nicht aus Hollywood kommt. Dafür ist er zu politisch und vor allem mangelt es auch an Pathetik und Patriotismus. Dafür verfügt der Film über ein unglaublich hohes Tempo, eine spannende Handlung und hochwertige Action. Aber auch an Witz und Absurdität mangelt es in dieser Adaption des französischen Graphic-Novels „Schneekreuzer“ nicht. Getragen wird der Film vor allem aber auch von seinen starken Darstellern. Allen voran Tilda Swinton. Wie bereits in „The Grand Budapest Hotel“ vermögen es auch hier nicht einmal Tonnen an Make-up sowie falsche Zähne ihre unglaublich einnehmende Schauspielkunst zu verdecken.
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    (Patrick Zwerger)
    28.04.2014
    23:44 Uhr
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