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    Harmlos unterhaltsame Spekulationen über die erotischen Vorzüge des einfachen Mannes

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Monia Chokri versucht in ihrem Film „Simple Comme Sylvain“ nichts Geringeres als die Natur der Liebe zu entdecken. (Der allzu platte englische Titel für das internationale Publikum verrät genau das: „The Nature of Love“.) Die kanadische Regisseurin und Schauspielerin blickt in ihrem dritten Spielfilm auf verschiedene Arten von Beziehungen. Dabei verwebt sie Theorie und Praxis. Sie lässt ihre Protagonistin Sophia Vorträge über philosophische Ansätze zur Definition von Liebe halten. Die Leidenschaft für den Beruf scheint jene in ihrem Leben zu übertreffen. Dann verknallt sie sich Hals über Kopf in einen Mann, der nicht in ihre bürgerlich gebildete Welt gehört, und überdenkt ihre etwas in Routine erstickende Ehe. So komplex das Thema ist, so einfach ist die Grundidee von Chokris Film.

    Ein nettes Chalet in der Natur soll es sein für das Ehepaar aus der Stadt. Es ist allerdings kurz vor dem Auseinanderfallen und renovierungsbedürftig, zumindest laut der Begutachtung durch den dazu engagierten Handwerksprofi. Die Szene der ersten Begegnung zwischen Sophia und Sylvain ist zwar klischeehaft, aber immerhin ein bisschen selbstironisch und ziemlich witzig. Die gebildete Stadtfrau, die von Häusern und Bauen keine Ahnung hat, ist vom praktisch begabten Handwerker Sylvain fasziniert und eingeschüchtert zugleich. Trotzdem ist es gut, dass ihr Mann Xavier die Baubesprechung nicht übernehmen kann. Sylvain beginnt mit Sophia bald sehr direkt zu flirten. Daraus wird mehr. Ein Kuss im Auto, eine Berührung und irgendwann schaffen es die beiden sogar noch ins Bett.

    Chokri versucht zu zeigen, wie erfüllend der Sex mit dem Naturburschen ist, mehr als befriedigend. Sehr detailliert dürfen Zuseher*innen verfolgen, wo und wie sie Liebe machen. Das Nachglühen hält aber nicht ewig. Außerhalb des Bettes ist Sylvain ausschließlich optisch ein Traummann für eine intelligente, bürgerliche Frau wie Sophia. Und das nur – das nächste Klischee lässt grüßen, wenn man auf von körperlicher Arbeit geformte Muskeln, viel Bart und Holzfällerhemd steht. Er ist kaum gebildet, spricht ärgsten Dialekt und hat so manch rassistischen Spruch auf Lager. Kurz gesagt: Sylvain passt nicht in Sophias Welt. Trotzdem ist es bald um sie geschehen. Sie muss herausfinden, ob diese Liebe eine Zukunft hat oder die mittlerweile eher freundschaftliche Beziehung zum Ehemann doch mehr Zufriedenheit bringt.

    In der oberflächlichen Charakterzeichnung lässt Chokri bei den Hauptfiguren kaum ein Klischee aus, um die Gegensätze zwischen Sophia und Sylvain aufzuzeigen. Hier die elegante Dame mit treffsicherem Modegeschmack, die für Philosophie, Politik und Bücher brennt. Damit fügt sie sich perfekt in ihren Familien- und Freundeskreis ein. Schon nach den ersten Momenten kann man sich Sylvain in dieser Welt ganz und gar nicht vorstellen. Von Büchern hat er keine Ahnung, von aktuellen Entwicklungen in der Welt auch nicht. Dieses Vorurteil wird immer wieder bestätigt. Wunderbare Arbeit leistet in diesem Zusammenhang die Kostümabteilung: Neben dem klassischen karierten Flanellhemd sind die anderen Oberteile auffällig und modisch etwas daneben. (Man könnte argumentieren, dass sie so hässlich sind, dass sie schon wieder genial sind …) Dafür kann Sylvain als Vertreter des naturbelassenen, praktischen Typs von Mann ein Haus bauen, eine Frau beschützen und sexuell befriedigen.

    Dem feinsinnigen Xavier gelingt es nicht mehr, seine Frau in dieser Hinsicht glücklich zu machen. Erotik und Leidenschaft sind aus der Ehe entwichen, nur die freundschaftliche Basis funktioniert noch. Etwas plump wird im Freundeskreis darüber geredet, dass das nach einer gewissen Zeit als Ehepaar häufig vorkommt. Die unbefriedigten Ehefrauen sollen sich einen anderen Kerl angeln, dann sind sie sofort wieder glücklich. Eine etwas naiv anmutende Pauschalisierung, die so nicht notwendig wäre. Es ist viel spannender einer Frau zuzusehen, die aus einem neuen Blickwinkel die Suche nach dem eigenen Glück noch einmal in die Hand nimmt.

    Tief in den Klischeetopf greift Chokri ebenfalls für das Porträt von Sylvains Familie. Traditionelle Geschlechterrollen, Dialekt, Schimpfwörter und eine Prise schräge Theorien, die mit einer sachlich wissenschaftlichen Einstellung nicht vereinbar sind, lassen erahnen, warum Sophias Geliebter so ist, wie er ist: ein Hinterwäldler wie er im Buche steht. Der Kulturschock beim ersten Familienbesuch ist vorprogrammiert, macht aber Spaß zum Zuschauen, die Dialoge sitzen. Ein bisschen wie Trash-TV. Vielleicht kann man sich sogar ein wenig mit Sophia identifizieren, ist fasziniert und irritiert von den etwas rückständigen Ansichten. Für die Protagonistin hält die Erleichterung ob ihrer höheren Intelligenz nicht lange an. Der eklatante Bildungsunterschied wird bald zum Streitpunkt, denn so einfach ist es dann doch nicht, die anderen Positionen annähernd zu respektieren. Das Aufeinanderprallen der beiden Welten hält viel Konfliktpotenzial bereit, heizt die Spannung an.

    Weniger laut, aber ebenso spannend blickt Chokri auf die Beziehungen zur Elterngeneration. Gesellschaftliche Erwartungen an das Paar setzen vor allem Sophia unter Druck. Xaviers Eltern zeigen ihr aber auch, was Liebe und Ehe bedeuten kann. Berührende Momente inklusive. Ein weiterer Baustein, der ihre Entscheidungen beeinflusst.

    „Simple comme Sylvain“ ist so einfach gestrickt, wie im französischen Titel angedeutet, so einfach, wie die Liebe zu einem naturbelassenen, sexuell begabten Mann auf den ersten Blick erscheint. Regisseurin und Drehbuchautorin Monia Chokri, die auch eine Nebenrolle übernimmt, stellt aber immerhin eine Frau ins Zentrum, die ihre Lust nach und nach priorisiert. Irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen Leidenschaft und Liebe etwas. Der unterhaltsamste Aspekt ist aber ohnehin das Aufeinandertreffen zweier Welten, die keinen gemeinsamen Nenner haben. Sophia kann sich im Umfeld ihres Geliebten kaum integrieren, Sylvain ist ein Fremdkörper in ihrem intellektuellen Freundeskreis. Die Unterschiede werden sowohl in den Dialogen als auch im Bild eingefangen. Die daraus resultierenden Konflikte treiben die Handlung voran.

    „Simple comme Sylvain“ ist keine hohe Kunst. Dazu ist Chokris Film zu konventionell und klischeehaft, manchmal etwas zu plump inszeniert. Trotzdem funktioniert er als gute Unterhaltung. Viele Dialoge zünden, manchen Szenen sind fast schon bizarr, machen Spaß. Die Frage, ob Sex mit einer Person, die tief im Inneren aufgrund des Bildungsunterschiedes nur schwer respektiert werden kann, glücklicher macht als eine intellektuell ausgeglichene, aber unbefriedigende Ehe, ist gar nicht einmal ganz so simpel.
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    (Ursula Rathensteiner)
    26.11.2023
    15:08 Uhr
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