Filmkritik zu Animal

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  • Bewertung

    Ein intensiver Tanz in der Cluburlaubs-Hölle

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Sommerurlaub im Club ist wohl ein vertrauter Schauplatz für viele Menschen: tolles Wetter, Strand, Drinks und Animationsprogramm an jedem Tag. Was für Gäste ein wahr gewordener Traum sein mag, kann sich für die andere Seite ganz anders anfühlen. Die Griechin Sophia Exarchou möchte in ihrem zweiten Langfilm „Animal“ das zeigen, was man als Tourist nicht sieht. Sie siedelt ihre Geschichte in einem Hotel auf einer griechischen Insel an, konzentriert sich auf das Animationsteam. Im Mittelpunkt steht Kalia, die diesen Job schon fast zehn Jahre ausführt. Ihr folgen wir als Zuseher*innen hinter die Kulissen, mit all der Kreativität, der Energie, aber auch der Ausbeutung, die Teil des Jobs sind.

    Schon mit dem Vorspann gelingt der Regisseurin ein Statement. Das L von Animal verschwindet, stehen bleibt ‚Anima‘ – Seele. Eine mehrdeutige Anspielung. Animateure animieren, sorgen dafür, dass Gäste sich beseelt fühlen. Gleichzeitig geben sie viel von sich selbst. Und dann wird man sich vielleicht an den Filmtitel erinnern, bevor man in die Geschichte einsteigt: „Animal“ – Tier.

    Gleich zu Beginn stimmen die Bilder auf Urlaubsfeeling ein: Strand, Wasser, Sonne. Wunderschön, fast idyllisch. Damit ist es bald vorbei, jedenfalls wenn man dort vom Tourismus lebt / leben muss. Es folgt der erste Auftritt. Kalia spielt Tanzlehrerin für einige ältere Herren. Sie legt sich ins Zeug, animiert dazu, die Haare wild zurückzuwerfen. Eine Szene, die sich ins Gedächtnis einprägt, voller Komik, mit einem Hauch von Tragik. Bald beginnt die Urlaubssaison so richtig, das Animationsteam formiert sich komplett. Die alten Hasen nehmen die neuen Mitglieder, darunter die junge Eva, gleich unter ihre Fittiche. Neue Shows werden geprobt, Tricks weitergegeben. Das Team muss als Einheit funktionieren, um die Gäste bestens zu unterhalten. Nach der Arbeit wird gefeiert und getanzt. Und dann wieder von vorne. Die ganze Urlaubssaison lang ist das Team für die Gäste da, niemand wirklich für sich selbst. Das Feiern mit viel Alkohol scheint zum Drang, zur Notwendigkeit zu werden.

    Mit den ersten Gesangs- und Tanzshows entführt Exarchous Film in diese typische Welt des Cluburlaubs mit ihrer organisierten, inszenierten Unterhaltung. Als Gast muss man sich um nichts kümmern, das Animationsteam ist dafür zuständig. Es ist mitten unter den Urlaubern, nah, greifbar. Es präsentiert sich möglichst auffällig und manchmal aufreizend. Inklusive Dauerlächeln. Das heizt die Stimmung an, so manche Hand eines Gastes fasst nach einer der schönen Damen. Kraftvolle Bilder, so manchem vertraut, unangenehm vertraut. Schwungvolle Lieder oder romantische Songs untermauern diese Urlaubsstimmung, diesen Sog zum Mitmachen. Vielleicht würde man sich selbst genauso leicht mitreißen lassen. Wie die Urlauber im Film vom Animationsteam nehmen und nicht viel mehr als Applaus geben, zumindest im Moment nicht. (Ja, Geld wird schon dagelassen, eine wirtschaftliche Transaktion.)

    Viel Selbst ist bei den Mitgliedern des Teams an manchen Abenden nicht mehr übrig, der letzte Rest wird in Alkohol und Feiern erstickt. So großartig diese Tanzszenen sind, so schonungslos zeigen sie ein Ausbrennen. Auch wenn Kameradschaft herrscht und die eine oder andere vertraute oder intime Begegnung im Animationsteam möglich ist, ist nichts von Dauer. Für Kalia auch nicht die hoffnungsvolle Begegnung mit einem österreichischen Touristen, von Voodoo Jürgens verkörpert. Kalia scheint zudem ihrem Job und ihrer Rolle nicht zu entkommen.

    Exarchou zeigt in „Animal“ die Schattenseiten in der Tourismuswirtschaft auf, verweist aber auf die Ambivalenz der Situation. Auf der Insel gibt es kaum etwas anderes als Urlauber und jene Personen, die für deren Wohl und Unterhaltung sorgen. Ein anderer Weg scheint unmöglich.

    Regisseurin Exarchou erzählt die Geschichte auch anhand von Körpern. Schließlich ist das das Kapital der Animateur*innen. Der Cast besteht aus Schauspieler*innen, aber auch Tänzer*innen. Angeführt wird das Ensemble von Dimitra Vlagopoulou als Kalia. Diese entwickelt eine Leinwandpräsenz, die einen nicht so schnell loslässt. Sie lässt uns erahnen (oder gar spüren), wie toll sich tanzen anfühlen kann, wie es ist, auf der Bühne zu stehen. Wie man mit Disziplin, Stärke und Druck Belästigung und Ausbeutung einfach weglächelt. Ihre Intensität ist anziehend, bemerkenswert, wirkt nach.

    „Animal“ arbeitet zwar mit Klischees vom Cluburlaub und mit wunderschönen Urlaubsbildern, zerstört diese aber gezielt. Dank der grandiosen Hauptdarstellerin wird man schnell in Kalias Geschichte hineingezogen. Spannung entwickelt sich in schwierigen Situationen und bleibt. Durchbrochen wird sie von Momenten der Hoffnung, Gesten, Gesprächen. Eine Hoffnung, die nie lange anhält, von Alkohol und exzessivem Feiern weggespült wird. Das nutzt sich in der Wiederholung etwas ab, kann die Handlung nicht mehr vorantreiben. Exarchous Film ist keine leichte Kost, keine oberflächliche Unterhaltung. „Animal“ ist vielschichtig, spielt auf die neue Generation im Animationsbetrieb an, die neuen Stars, die die alten wie Kalia ersetzen werden. Und was dann? Am Ende stehen viele Fragen. Vielleicht schleicht sich das Gefühl ein, Urlaub am Meer – vor allem in Ferienclubs – mit anderen Augen zu sehen.
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    (Ursula Rathensteiner)
    23.11.2023
    22:42 Uhr
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