Filmkritik zu Beating Hearts

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Ein erhöhter Herzschlag ist Programm

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    Eine Massenschießerei in den ersten Minuten macht den Anfang, fortgeführt von einer der schönsten Romanzen der letzten Jahre. Am Ende hat es sich auch auf das Publikum übertragen, wie es ein paar Minuten Massenbeifall auf dem diesjährigen Filmfestival von Cannes bezeugen. Und das, obwohl auch „Beating Hearts“ vom großen roten N vertrieben wird - und Cannes da gern allergisch darauf reagiert. Das Drama, welches sich immer mal als Musikvideo anfühlt (und das ist positiv gemeint, da bildliche Ästhetik und Musik hervorragend zusammenkommen) hat jedoch das Herz am rechten Fleck.

    Darum geht’s: Jackie (Mallory Wanecque) zieht mit ihrem Vater in eine neue Stadt und trifft schon am ersten Tag auf den Rebell Clotaire (Malik Frikah), der für seine destruktive Ader bekannt ist. Nachdem ihre Blicke aufeinandertreffen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich beide näherkommen. Eines Tages wird Clotaire in einen Mordfall involviert und landet daraufhin im Gefängnis. Zwölf Jahre später begibt sich der erwachsene Clotaire (François Civil) auf die Suche nach Jackie (Adèle Exarchopoulos) und will ein neues Leben beginnen.

    Fast schon zu klassisch hört sich diese Synopsis an und schnell werden Erinnerungen an andere Filme wach. Zuvorderst kommen ältere Klassiker wie „Goodfellas“ oder „In den Straßen der Bronx“ in den Sinn, bei denen sich offensichtliche Gemeinsamkeiten feststellen lassen. Die Grundstationen sind dabei schnell umrissen: Ein kleiner Junge wird Opfer seines Umfelds, es folgt daraufhin die Phase der Buße und letztlich die Auferstehung. Nicht selten steht gegen Ende hin die gleiche Frage im Raum: Schafft der Protagonist es aus dem destruktiven System heraus und wird eine bessere Version von sich selbst oder unterliegt er dem Fatalismus?

    Auffällig ist, wie „Beating Hearts“ die Lücken zwischen diesen Stationen füllt. Wärme und Kälte sind hierbei von zentraler Bedeutung: Während zu Beginn die Farbgestaltung noch maximal warm ausfällt, gibt es einen sukzessiven Übergang zu einer dunklen Stilistik. Gleichermaßen wird auch der Soundtrack davon bestimmt. The Cure-Fans können sich hierbei besonders freuen, da vereinzelte Szenen im ersten Drittel passende Songs bereithalten, mit denen eine betörende Atmosphäre festgehalten wird. Ein Vergleich ist wohl angebracht, um euch dies genauer zu veranschaulichen. „Boyhood“, welcher am Rande angemerkt vor einem Jahrzehnt das Licht der Welt erblickte (feel old yet?), endet mit einer Szene, die mich immer wieder in den Bann zieht.

    Während der Protagonist seiner Zukunft entgegenfährt, ertönt „Hero“ von Family of the Year. Viel könnte man jetzt dazu schreiben, warum dies eine ergreifende Szene ist, doch lasst mich nur eines sagen: In „Beating Hearts“ kreiert Regisseur Gilles Lellouche nicht minder beeindruckende Filmmomente.

    Dass der Film aber nicht nur aus Romanze und schönen Bildern besteht, muss jedoch unbedingt dazugesagt werden. Mitunter spritzt das Blut, Figuren werden malträtiert und all das Schöne, was vorausging, wird metaphorisch gesprochen mit einem Baseballschläger bearbeitet. Das tut natürlich im ersten Moment erstmal weh, gerade wenn man sich in diese tolle warme Filmmagie hineinflüchtet. Wie es mit dem Protagonisten ausgeht, sei nicht verraten, stattdessen möchte ich mit einem Zitat enden, welches ich zwischen den Zeilen von „Beating Hearts“ ausmachen konnte: Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.
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    (Michael Gasch)
    25.05.2024
    23:54 Uhr