Civil War

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Forumseintrag zu „Civil War“ von MichaelGasch


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MichaelGasch (18.04.2024 16:07) Bewertung
Top Gun 3 x American Sniper 2
Exklusiv für Uncut
Entschleunigte Aufnahmen und Ambient-Töne vom Wunderknaben Alex Garland der A24-Schmiede gehören der Vergangenheit an. In seinem neuesten Werk „Civil War“ fährt er alle Geschütze aus, die er für 75 Millionen Dollar (oder 50, je nach Quelle) an Land ziehen konnte. Bis sie zum Einsatz kommen, geht ein Roadmovie voraus, welches wie ein filmisches Fotoalbum des Regisseurs wirkt. Durch Wälder geht es, vorbei an einer versteckten Forschungseinrichtung, einer Zone, in der Menschlichkeit endet, einem Rückzugsort, um Traumata zu bewältigen, einer weiteren geheimen Forschungseinrichtung, nur um am Ende in einem kriegerischen Höllenschlund in „Last of Us“-Optik zu landen.

Systemkollaps made in USA.

Amerika befindet sich am Abgrund, eine Zäsur steht bevor. Als sich Texas und Kalifornien zusammenschließen und eine westliche Allianz bilden, wird Washington, D.C., samt dem Präsidenten (Nick Offerman) ins Visier genommen. Auf dem Weg von New York in die amerikanische Hauptstadt gerät die Kriegsberichterstatterin Lee (Kirsten Dunst), gemeinsam mit ihren Kollegen Joel (Wagner Moura), Jessie (Cailee Spaeny) und Sammy (Stephen McKinley Henderson) zwischen die Fronten.

Spielerischer Krieg, kriegerisches Spiel

Wut geht in der Welt umher, die unzähligen aktuellen Hot-Spots lassen keinen Zweifel daran. Der Anspruch, einen zynischen Text über amerikanische Kriege zu schreiben und sich daran zu laben, wird von Garland jedoch direkt demontiert, indem er selbst zum Zyniker wird. Die Kriegsbereitschaft der USA freilegend, folgt ein Abriss einer im Grunde schon jahrzehntelangen intakten Gesellschaft, verbunden mit kardinalen Fragen, die sich jeder aus dem amerikanischen Publikum stellen muss. Was für ein Amerikaner bist du? Hast du noch genug Munition parat? Und auch die Big-Player werden nicht vergessen: Möchte ich nach diesem Film wirklich US-Präsident werden?

Inszeniert wird die Geschichte eines aktuellen Bürgerkrieges in den USA mit befriedigender Radikalität. Den zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten als Sprungbrett genutzt, um den Highground zu erreichen, sichert sich Garland einen der besten Spots, um alles im Blick zu haben. Doch wann ist es ein Spiel, bei dem die Augen der Reporter am Anfang noch leuchten, ab wann ist es Krieg? Nach Garlands Inszenierung spielt eine Antwort darauf letztlich gar keine große Rolle, solange die Kamera die Sicht aus 2nd- oder 3rd-Person einzunehmen versucht und noch genügend Munition/Lebensbalken der Figuren/Player übrig sind.

Waffen und Bilder

Der japanische Regisseur Akira Kurosawa sagte einmal: „All der technologische Fortschritt der letzten Jahre hat der Menschheit nur beigebracht, wie man sich gegenseitig besser und effizienter umbringt.“. Nachdem in „Civil War“ Maverick aus „Top Gun“ und Meister-Scharfschützen aus „American Sniper“ rekrutiert wurden, die sicherlich auch „gute“ Arbeit leisten, bleibt eine Kriegsführung, welche dem aktuellen Technologiestand entspricht, jedoch aus. Wo sind alle fortschrittlichen Technologien der nächsten Generation? Statt Tarnkappenbomber oder anderweitige Superwaffen aus Area 51, es ist wohl als Entmystifizierung des hochmodernen Technologiestands zu verstehen, müssen veraltete Modelle herhalten, wie aus der Internet Movie Firearms Database IMFDB hervorgeht. Ob Garland den amerikanischen Waffenmarkt mit heruntergelassener Hose dastehen lassen will oder mit dieser Akzentuierung ganz bewusst eine filmische Zeitlosigkeit schaffen will?

Jeglicher Waffenfokus ist letztlich jedoch unbedeutend, da der Kameraschuss schneller sein Ziel erreicht als jedes Projektil. Garland kreiert mit diesem Ansatz einen zutiefst pointierten Zugang zum Kriegsgeschehen und setzt dies auch in Bezug auf das Wort. Dass sein Film mit stammelden und unpräzisen Worten des Präsidenten beginnt und mit einem umso präziseren Bild von ihm endet, ist vor dem Hintergrund sicherlich kein Zufall.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Mit Fokus auf das Bild schafft sich Garland zusätzlich ein Fass mit doppeltem Boden. Anknüpfend an mediale Bilder, die durch die Welt gingen, sei es Tank Man, der rebellierende Mönch, der sich öffentlich anzündete oder Aufnahmen vom 11. September 2001, spannt Garland den Bogen in zweierlei Hinsicht. Es ist das eine, wenn die dahinterliegende Geschichte dokumentiert wird, das andere, wenn versucht wird, Krieg und Ästhetik zusammenzubringen, denn auch in Civil War ist die Rede vom „perfekten Shot“ - der Weg zum viralen Hit ist nicht weit entfernt. All das Blut, das fließt, trübt Garlands Blick jedoch in keinster Weise, Civil War ist alles andere als reduziertes Hochglanz-Kino.

Über Leichen, Folter, schlichtweg Unmenschlichkeit schreitet Garland hinüber und findet trotzdem noch Platz für Unterschwelligkeit: In einer Welt von „Civil War“ kommt es gar nicht mehr so wirklich darauf an, wie viele Sterne die amerikanische Nationalflagge ziert. Wenn erst einmal alle Flaggen in Blut getränkt sind, ist es bis zur Optik der Samoa-Nationalflagge nicht mehr weit hin.

Eine neue Ära beginnt

Dass Garland kein appellierender Regisseur ist, der das Publikum wie so viele vor ihm an die Sinnlosigkeit des Kriegs erinnern will, nutzt er, um eine zentrale Frage hintenan zu stellen: Geht es wirklich um Krieg oder doch eher um die unmittelbar letzten Momente eines transformatorischen Prozesses in Richtung einer neuen Ordnung, um die letzten Momente, in denen sich Geschichte noch festhalten lässt?

Scheinbar steht eine Zäsur an, nicht nur für ihn, sondern ebenso für das dahinterstehende Studio A24, welches sich bis dato pudelwohl im tatkräftig erschafften Genrekino gefühlt hat. Zwei Fragen bieten sich also nun an. Wie sehr folgt „Civil War“ den etablierten Kriterien dieses konzeptionierten Genrekinos? Und welches Studio will A24 jetzt sein? Die bis dato untypischste A24-Produktion schreit förmlich danach, als wäre es ein Aufbruch zu neuen Ufern. Hoch budgetiert, mit großen Stars und üppigen Waffenarsenal ausgestattet, vereint „Civil War“ den Blockbuster-entsprechenden Bombast mit Cleverness und ausreichend viel Substanz. Ein kleiner Mangel an Radikalität, was man „Civil War“ noch am ehesten vorwerfen kann, wird somit zu großen Teilen kompensiert. Mit „Make cinema great again“ würden wohl polemische Autoren jetzt schließen.
 
 

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