Filmkritik zu The Practice

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Mit Sonnengruß zu besserem Leben?

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Manchmal dauert es etwas, bis ein Filmprojekt realisierbar ist. Da ist es nicht verwunderlich, dass einige Jahre vergehen, bis sich ein renommierter Regisseur und Schriftsteller wie der Argentinier Martín Rejtman („Rapado“, „Dos disparos“) mit einer neuen Geschichte zurückmeldet. Sein aktuelles Werk heißt „La Práctica“. Mit diesem Beitrag war er heuer beim Filmfestival San Sebastián im Wettbewerb um die „Concha de Oro“ (Goldene Muschel) vertreten.

    Seine Komödie über die moderne Welt, unseren Selbstoptimierungsdrang und den Kult ums Yoga siedelt der Regisseur nicht in seiner Heimat, sondern in Chile an. Im Gespräch auf der Viennale weist Co-Produzent Christoph Friedel darauf hin, dass die Unterschiede zwischen den geografischen Nachbarn die Geschichte anreichern, denn die Hauptfigur Gustavo ist ursprünglich aus Buenos Aires. Um alle Nuancen etwa in der Verwendung des Spanischen zu erkennen, müsste man als Zuseher*in allerdings schon sehr gut Bescheid wissen. Der Co-Produzent betreibt daher etwas Aufklärung mit einem Augenzwinkern: Mit Österreich – Deutschland ist die Situation nicht ganz zu vergleichen, so Friedel. Aber auch ohne diesen Hintergrund funktioniert die Geschichte recht gut, hält genügend universelle Themen bereit.

    Der Regisseur schickt den etwas unsicheren Yoga-Lehrer Gustavo ins alltägliches Chaos. Nicht nur die Trennung von seiner Frau Vanessa und ihre Auswirkungen auf seine Lebensumstände bereiten ihm Kopfzerbrechen. Er muss sich auch mit seiner Mutter auseinandersetzen, die ihn gerne wieder bei sich in Argentinien hätte. Damit nicht genug, verlaufen die Yoga-Stunden nicht immer so ungestört, wie sie sollten. Die aktuellen und ehemaligen Teilnehmer*innen sind nicht so pflegeleicht wie im Lehrbuch. Zum Glück kann man ins Retreat flüchten, wenn es brenzlig wird.

    Man merkt den literarischen Einfluss auf die Erzählweise in Rejtmans Film stark. Die Dialoge wirken manchmal weniger wie echte Gespräche, eher wie deklamiert. Spricht man zumindest ein bisschen Spanisch, kann man das manchmal an der Sprachmelodie und der Wortwahl erkennen, aber auch die Körpersprache der Schauspieler*innen unterstützt dieses Element. Das ist eine künstlerische Handschrift, die genau das ist: künstlerisch, gekünstelt. Kann man mögen, schafft aber Distanz zum Erzählten, zum Alltag. Regisseur Rejtman greift in „La Práctica“ zudem häufiger auf Kommentare aus dem Off zurück. Gustavo darf selbst erzählen, seine Stimme dominiert in diesen Szenen. Etwas altmodisch, aber ein probates Mittel, um seine Gedanken zu transportieren. Das sorgt für unterhaltsame Momente im Zusammenspiel zwischen Erzählung und Bildern, etwa beim Zusammentreffen mit seiner oberflächlich fürsorglichen Mutter.

    Regisseur Rejtman porträtiert Gustavo als liebevoll eigenbrötlerischen Zeitgenossen. Er besteht nach der Trennung auf Paartherapie (- diese Szenen sind ein Highlight des Films!) und vertraut auf die Tipps seiner Yoga-Community mehr als auf ärztlichen Rat. Beides gibt viel Raum für einen genauen Blick auf die Unzulänglichkeiten des Sturkopfs. Sie zeigen ebenso den Drang nach Selbstoptimierung. Einige angebliche Heilmethoden lassen sogar milde Satire Einzug halten. Allzu bissige Szenen und Kommentare erlaubt sich der Regisseur in „La Práctica“ allerdings nicht. Nett und meist beiläufig werden die Themen abgehandelt.

    Dafür wird das komische Potenzial der Figuren strapaziert, vielleicht sogar etwas überstrapaziert. Den einen oder anderen Lacher, aber auch Konflikte, garantiert etwa Steffi, eine deutsche Yoga-Schülerin, deren Verhalten für Gerede sorgt. Und dann verliert sie bei einem Unfall im Studio auch noch das Gedächtnis. Kaum weniger exzentrisch sind die anderen Nebenfiguren, die Gustavos Weg kreuzen. Beispielsweise Vanessas nicht-erleuchtete Verwandtschaft, die mit Yoga so gar nichts am Hut hat. Manchmal dürfen sie sogar mehr Facetten zeigen als nur ihre Macken.

    „La Práctica“ hat einige Momente, die durchaus unterhaltsam sind. Slapstick-Einlagen (Stichwort: Gully) funktionieren ebenso wie Witze über die eigenartigen Regeln der Yogis. Insgesamt nimmt der Film allerdings nie richtig Fahrt auf. Alles geschieht eher langsam und nebenbei. Zu wenig Komödie für eine Komödie, zu wenig Drama für ein Drama. Da wäre mehr drinnen gewesen.

    Beeindruckend sind allerdings die Yoga-Szenen, da möchte man gleich mitmachen. Oder ist etwas neidisch darauf, wie beweglich und stark die Teilnehmer*innen sind.
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    (Ursula Rathensteiner)
    29.10.2023
    23:00 Uhr
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