Filmkritik zu Best Wishes to All

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Glücklich um jeden Preis? Generationenkampf als Horror auf Sparflamme

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Horrorfilme aus Japan sind aus dem Genre kaum mehr wegzudenken. Ob Original oder Kopie, die kreativen Wurzeln vieler Gruselfilme liegen in Fernost. Ein großer Name in dieser Tradition ist Takashi Shimizu, der „Best Wishes to All“ produziert hat. Kenner verbinden ihn mit der „The Grudge“-Reihe. Regisseur Yuta Shimotsu hingegen ist ein unbeschriebenes Blatt. „Best Wishes to All“ ist sein Spielfilmdebüt. Die Fußstapfen sind groß, wenn man die japanische Horror-Tradition weiterführen möchte. Sie weckt hohe Erwartungen bei Fans.

    „Best Wishes to All“ versucht es mit einer Geschichte, die auf einem japanischen Gesellschaftsphänomen aufbaut: der Überalterung. Etwa 92.000 Menschen haben die magische 100 überschritten. Jüngere müssen daher viel schultern, ihnen wird so einiges aufgebürdet. (Ein Politiker hat sogar Massenselbstmord für Ältere vorgeschlagen, um die Gesellschaft zu entlasten, musste allerdings von dieser extremen Position zurückrudern. Aber das ist eine andere Geschichte.) Vor diesem sozialen Hintergrund jedenfalls stellt „Best Wishes to All“ Fragen nach Verantwortung und Moral. Der Film diskutiert, ob das eigene Glück auf dem Unglück oder den Opfern von anderen basieren darf. Philosophie im Horror-Gewand.

    Der Film begleitet eine junge Frau (sympathisch: Kotone Furukawa) auf ihrer Suche nach Antworten. Ob sie diese hinter der genrekonform fest verschlossenen Tür im Obergeschoss findet, von der sie schon als kleines Mädchen ob der ungewöhnlichen Geräusche dahinter fasziniert ist? Möchte sie diese überhaupt finden? Als Kind bleibt das Geheimnis für sie ein schemenhafter Albtraum. Einer, der sie Jahre später noch aus dem Schlaf hochschrecken lässt. Die junge Frau ist gerade dabei, in Tokio ihre Ausbildung als Krankenschwester abzuschließen. Nun soll sie sich im Haus der Großeltern am Land einfinden, um sich ein wenig um sie zu kümmern. Diese legen bald eigenartiges Verhalten an den Tag, scheinen manchmal einzufrieren, ihre Umgebung nicht wahrzunehmen. Nur eine leicht unheimliche Alterserscheinung? Im nächsten Augenblick sind Oma und Opa wieder wohlauf, fit. Die junge Frau versucht, mehr herauszufinden, hinter die verschlossene Tür zu blicken. Just bei einem Familienessen wird das schreckliche Geheimnis nach und nach enthüllt. Und sie muss entscheiden, woran sie glauben möchte, welchen Preis sie bereit ist, für das Glück ihrer Familie und ihr eigenes zu zahlen.

    Das Publikum bekommt zu Beginn eine nach außen harmonische Familie präsentiert, die aus drei Generationen besteht. Vor allem die Großeltern kümmern sich rührend um ihre Enkelin. Die Großmutter bringt ihr das Nähen bei. Das Essen wird zelebriert. Heile Welt. Am Land. Und dann die Frage an das kleine Mädchen: Bist du glücklich? Ein sehr unsicheres Ja, das bald weiter untergraben wird. Das Mädchen muss im Sandwich zwischen ihren Eltern schlafen, die ihm kaum Platz lassen, das Obergeschoss ist den Großeltern vorbehalten. Bei der Rückkehr aufs Land wiederholt sich die Frage, eine Art Leitthema. Sie wird noch öfter auftauchen. Glück suggerieren auch die idyllischen Bilder vom Leben am Land, die meisten Bewohner scheinen rund um die Uhr zu lächeln, alles fällt ihnen zu. Nur wenige scheinen vom Pech verfolgt.

    „Best Wishes to All“ gibt seine Geheimnisse in gemächlichem Tempo preis und arbeitet mit weichgespültem Grusel. Mit der Enthüllung wird die Spannungsschraube etwas angezogen, allerdings verliert sich der Film zunehmend in plakativ drastischen Bildern und eher plumpen oder gar kruden Wendungen. Die Figuren verlieren zunehmend an Tiefe. Vielleicht will Regisseur Shimotsu zu viel auf einmal, vielleicht möchte er Filmlänge füllen. Sozialkritik beziehungsweise Sozialhorror verbindet sich zu psychologischem Horror, erzählt mit wenig innovativen Splatter-Elementen. Dazu kommen Anleihen beim Body Horror. Eine Mischung, die nicht gänzlich überzeugt, vom ernsten Kern der Geschichte etwas ablenkt.

    Schade eigentlich. Einige Aspekte der Überalterungsthematik sind clever in die Gruselerzählung eingebunden. Schon allein der Berufswunsch der Protagonistin ist symbolhaft, so wichtig für eine Gesellschaft: Krankenschwester. Einmal sagt sie selbst, dass sie Menschen retten möchte. Sie hat stets das Wohl anderer mehr im Blick als ihr eigenes. Die merkwürdigen Geschehnisse bei ihren Großeltern am Land stellen diese idealistische Sicht jedoch auf eine harte Probe. Ihr gegenüber stehen viele ältere, aber auch jüngere Menschen, die nur auf ihr eigenes Wohl achten. Die alles tun, um ihr eigenes Glück festzuhalten. Das ist der eigentliche Horror im Film. (Mehr soll nicht verraten werden.)

    Hiermit sei gewarnt: Wer sich Grusel unter Hochspannung wünscht, wird nach „Best Wishes to All“ den Kinosaal eventuell nicht ganz glücklich verlassen. Shimotsus „Best Wishes to All” bietet zwar eine interessante, mit moralischen Fragen gespickte Geschichte, leidet aber etwas am langsamen Tempo und der zunehmenden Überfrachtung gegen Ende hin. Trotz probaten Genreversatzstücken, kommt nur mäßig Spannung auf. Der Horror passiert weniger in der Inszenierung selbst als in der Grundidee der Geschichte, was hartgesottene Fans vielleicht enttäuschen könnte. Echte Schreckmomente sind Mangelware. Die vorhandenen Splatter-Einlagen könnten wiederum für den Teil des Publikums zu viel sein, der Sozialkritik und psychologischen Horror bevorzugt und erwartet.

    Rundum glücklich macht „Best Wishes to All“ nicht, auch wenn die Grundidee interessant ist.
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    (Ursula Rathensteiner)
    29.09.2023
    11:05 Uhr
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