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    Ein bewegtes Leben in bewegten Bildern

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Ohne Steven Spielberg würde die heutige Kinolandschaft wahrscheinlich ganz anders aussehen. Der in Cincinnati geborene Filmemacher, der ursprünglich der New-Hollywood-Bewegung entsprang, gilt als einer der großen Pioniere des Blockbusters. Seinem 1975 erschienenen Kassenschlager „Der Weiße Hai“ wird sogar nachgesagt, diesen bis heute in Verwendung befindlichen Terminus erst ins Leben gerufen zu haben. Spielberg leitete die Ära des sommerlichen Eventkinos ein, das Abermillionen von Zuschauerinnen und Zuschauern in die Sitze bewegte, und bestückte dieses über die Jahre mit zeitlos gealterten wie tricktechnisch revolutionären Meilensteinen á la „Close Encounters of the Third Kind“ (1977), „Indiana Jones“ (1981) oder „Jurassic Park“ (1993). Fälschlicherweise wird Spielberg vielerorts weiterhin in die Kategorie der handelsüblichen Kinohandwerker gesteckt. Dabei schlummert hinter der oberflächlichen Fassade weit mehr als lediglich ein braver Craftsman: und zwar ein Regisseur mit vielerlei stilistischen Eigenheiten, wiederkehrenden Motiven und einer großen Portion Persönlichkeit. Etwas, das man von gegenwärtigen Trittbrettfahrern nur schwer behaupten kann. Demnach ist er das seltene Beispiel eines waschechten Auteurs mit Gespür für Massengeschmack. Kunst und Kommerz verschmelzen in seinem Werk zu einem leicht verdaulichen, aber dennoch köstlich schmeckenden Vier-Gänge-Menü. Für seinen neuesten Film hat der zweifache Oscarpreisträger den Bombast aber gänzlich zur Seite geschoben und gibt intimere Einblicke in sein emotionales Innenleben denn je zuvor. Das für sieben Oscars nominierte Drama „Die Fabelmans“ basiert nämlich auf der eigenen Kindheit und dem künstlerischen Werdegang des Ausnahmefilmemachers.

    Aus Steven Spielberg wird Sammy Fabelman (als Kind: Mateo Zoryan Francis-DeFord, als Erwachsener: der großartige Newcomer Gabriel LaBelle), der als einziger Sohn einer mehrköpfigen, jüdischen Mittelstandsfamilie im New Jersey der 1950er aufwächst. Schon in frühen Kindheitstagen entwickelt er eine große Leidenschaft fürs Kino. Als er den Entschluss fasst, diese Faszination zum Beruf zu machen, zeigen seine Eltern zunächst gemischte Gefühle. Vater Burt (Paul Dano: begeistert in einer ungewohnt zurückhaltenden Rolle) sieht es als wenig mehr als einen Zeitvertreib - ein Hobby, dem Sammy wohl früher oder später entwachsen dürfte. Mutter Mitzi (Michelle Williams: spielt als wohl tragischste Figur groß auf), die selbst nie ihren Traum, eine Konzertpianistin zu sein, ausleben durfte, steht hingegen voll und ganz hinter der Passion ihres Sohnes. Das mehrere Jahre umspannende Drama schildert den Weg vom anfänglichen Kinoliebhaber hin zum ernstnehmenden Hobbyregisseur mit reichlich Potenzial für mehr. Das Filmemachen wird für Sammy zum Ventil zur Verarbeitung privater Krisen und Traumata.

    Was in den falschen Händen in ein fragwürdiges Produkt eitler Selbstbeweihräucherung hätte ausarten können, wird unter der Feder von Spielberg und seinem Co-Autor Tony Kushner zu einer aufrichtig erzählten Hommage an die unbändige Kraft des Filmemachens. Und diese birgt, wie hier deutlich gemacht wird, gewiss nicht nur Schokoladenseiten. Der Hauptkonflikt basiert auf der tatsächlich geschehenen Scheidung von Spielbergs Eltern – ein Resultat einer Affäre zwischen Mama und einem langjährigen Familienfreund wie Arbeitskollegen des Vaters (hier verkörpert von Seth Rogen: überzeugt als warmherziger Gegenpol zum stoischen Papa). Und im Film bekommt der jugendliche Sammy, wie könnte es anders auch sein, über selbstgedrehtes Filmmaterial unfreiwillig von dieser Wind. Eine furchtbare Entdeckung, die der Teenie lange für sich behielt und die ihm auch als Inspiration für frühe Filmeexperimente diente. Die Erschütterung dieser Entdeckung wird in einer der Kernmomente mitreißend inszeniert. Selbst die größte Leidenschaft kann zum blanken Horror mutieren.

    Dieser Horror wird auch in den Momenten deutlich, in denen Spielberg seine eigene jüdische Identität und damit verbundenen, antisemitische Tiraden aus High-School-Tagen verarbeitet. In einer besonders beeindruckenden Sequenz lässt er seinen eigenen Mobber, ein blonder Mann mit blauen Augen, samt nahezu Riefestahl-esquem Heldenkitsch ironisch zum gesellschaftlichen Idealbild verklären. Ein medial weiterhin häufig vermittelter Idealtypus, dem ironischerweise selbst Spielberg als Mann, der den uramerikanischen Pathos perfektioniert hat, bereits zum Opfer gefallen ist – ob nun gewollt oder nicht. Nun mal gibt er den Massen das, was sie scheinbar sehen wollen. Und eben die Widersprüchlichkeiten, die diesem Moment zu Grunde liegen, machen die Szene zu einer der faszinierendsten in Spielbergs mehr als 50 Jahre umfassender Karriere.

    Von einer reinen Verteufelung des Mediums ist das autobiografische Drama aber weit entfernt. In erster Linie zelebriert es die Aufregung, die mit dem Prozess des Filmemachens und -schauens verbunden wird – eben das Erschaffen von atemberaubenden Scheinwelten, die ein künstliches, idealisiertes Spiegelbild der Realität abbilden. Ein Prozess, der die engsten Träume und Wunschvorstellungen auf der Leinwand zum Leben erwecken lässt. Und diese Magie wird gleich zu Beginn aus den wahrscheinlich beeindruckbarsten Augen heraus inszeniert: denen eines Kindes. Spielberg selbst hat diesen kindlichen Optimismus trotz präsenter, zynischer Gegenbilder nie links liegen gelassen. Dieser durchdringt „The Fabelmans“ aller Konflikte zum Trotz wie eine warme Wolldecke, derer man sich kaum entledigen möchte. Ein persönliches Spätwerk eines Meisters, der eigentlich nichts mehr zu beweisen hatte, hier aber einen seiner meist-verschachtelten und emotional komplexesten Filme vorlegt. Wunderbar!
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    (Christian Pogatetz)
    21.02.2023
    19:54 Uhr