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  • Bewertung

    Verhüllung als Schutzmechanismus

    Exklusiv für Uncut
    Der neue Film vom Regisseur Paul Thomas Anderson spielt in der Nachkriegszeit in London. Die Hauptrolle des Schneiders Reynolds Woodcock übernimmt dabei das schauspielerische Schwergewicht Daniel Day-Lewis. Im gegenüber steht, als eine von vielen Frauen im Leben des bekannten Schneiders, Alma, eine Kellnerin, die im Laufe des Films zur Muse von Reynolds wird. Alma bzw. Vicky Krieps, wie die in Luxemburg geborene Schauspielerin in Wirklichkeit heißt, ist dem österreichischen Publikum noch aus dem Film „Was hat uns bloß so ruiniert“ bekannt. Reynolds ist ein ruhiger, aber launischer Geselle, der es nicht leiden kann die Kontrolle über die Dinge zu verlieren und somit muss sich jeder seinen Wünschen unterordnen. Alma, die neu im Hause Woodcock ist, will sich aber nicht einordnen lassen und bringt somit Unruhe in Reynolds tägliche Routine.

    Alles im Film dreht sich um den Hauptdarsteller und das nicht nur sprichwörtlich. Meist bleibt Reynolds, der weitbekannte Schneider, der in London im „House of Woodcock“ seine begehrten Kostüme fertigt, an seinem Platz und die anderen Protagonisten schwirren beinahe um ihn herum. Die Figur strahlt dadurch Ruhe, etwas herrschaftliches, aber auch etwas gebieterisches aus. Außerdem wirkt Reynolds, wunderbar gespielt vom Meister Daniel Day-Lewis, dadurch auch distanziert, steif und unerreichbar. Diese Distanz ist immer wieder zu spüren, so fragt ihn einmal seine Schwester Cyril: „Wo bist du Reynolds?“ Ein markanter Satz im Film, da die Hauptfigur wirklich meist abwesend und in seine Arbeit vertieft ist. In diesem Stadium darf den Schneider auch keiner stören, da es ihn sonst völlig aus der Konzentration bringt und er für längere Zeit nicht mehr weiterarbeiten kann.

    Und hier tritt Alma in die Geschichte ein. Reynolds lernt sie bei einem Frühstück kennen, wo sie seine Kellnerin ist. Er verabredet sich mit ihr und nach einem Essen nimmt er sie zu sich mit heim, wo er ein Kleid für sie schneidert. Die Situation kippt dann aber plötzlich als Reynolds kurz verschwindet und Cyril auftaucht, um Almas Maße zu notieren. Plötzlich verfliegt jedes romantische Gefühl und Alma sieht sich den Blicken und der Abmessungen ihres Körpers schutzlos ausgeliefert. Alles hat in dieser Situation, und auch im späteren Verlauf des Films, eine gewisse Doppeldeutigkeit. So meint Cyril am Ende des Abmessens, Alma hätte einen perfekten Körper, denn Reynolds mag Frauen mit kleinen Bäuchlein.

    Die Blicke zwischen den Protagonisten sind es auch, die unter die Haut gehen. Diese, so wirkt es, versuchen hinter diese Doppeldeutigkeiten zu blicken und etwas hinter den Kleidern, die Reynolds schneidert, zu finden. So wie Alma ohne ihr Kleid den Blicken Cyrils schutzlos ausgeliefert ist, scheint es auch, dass Reynolds Schneider ist, um einen bestimmten Inhalt seines Lebens zu verdecken bzw. zu verschleiern. Mit seinen Kreationen und seinem beruflichen Handwerk will er Hüllen entwerfen, die ihn vor dem Außen behüten. Alles in seiner täglichen Routine ist minutiös geplant und darf nicht verändert werden, um dieses Konstrukt aus vielen leeren Hüllen, das sich Reynolds erschaffen hat, nicht zum Einstürzen zu bringen. Er wirkt dabei oft launisch und kindlich, als ob er in einem gewissen Stadium der Kindheit hängen geblieben wäre. Ihm darf nicht widersprochen werden und für Kritik ist er nicht zugänglich. Hier passt der deutsche Titel „Der seidene Faden“ sehr gut, denn so sind auch seine Stimmungsschwankungen zu betrachten. Sie hängen an einem seidenen Faden und es braucht nicht viel, um diesen zu kappen.

    Eine andere Hintergrundgeschichte, die den Charakter Reynolds Woodcock dem Publikum etwas näherbringt, ist die sehr enge Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter. Für diese hat er als 16-jähriger das Hochzeitskleid für ihre zweite Hochzeit geschneidert. Es kann dies als ein „Phantom Thread“, wie es im englischen Titel heißt, gesehen werden, der für Reynolds immer gegenwärtig ist. Er merkt auch im Film einmal an, dass diese Verbindung ihm sehr wichtig ist. Er sagt dazu, dass es für ihn ein schöner Gedanke sei, dass die Toten über die Lebenden wachen. Einerseits beschützt ihn also etwas aus einer anderen Sphäre, andererseits braucht er aber auch im Diesseits allen möglichen Schutz. Da wären die angesprochenen Verhüllungen und Verkleidungen, doch es gehört auch dazu, dass er stets umgeben ist von Menschen, vorwiegend Frauen. Was für ihn wertvoll ist, wird auf Dauer für Alma jedoch zur Qual, denn sie würde gerne mit Reynolds alleine sein. Um mit ihren Geliebten aber endlich in trauter Zweisamkeit alleine zu sein muss sie eine ganz bestimmte Rolle in Reynolds Leben einnehmen und das zwingt sie schlussendlich dazu, gravierend in eben jenes einzugreifen.

    Der Film weiß alleine schon wegen den unglaublichen schauspielerischen Leistungen zu überzeugen. Wer jedoch gerne mehr als nur gutes Schauspiel in einem Film sucht, sollte bei diesem Film vorsichtig sein, denn der Film versucht beinahe wie seine Hauptfigur eine gewisse Distanz zu wahren und Hüllen um sich herum aufzubauen. Die gesamte Handlung wird so über weite Strecken von den Dialogen zweier Figuren an einem Handlungsort getragen. Man findet schwer Zugang zur Geschichte und es ist demnach kein Film den man sich mal einfach so nebenbei anschauen sollte.
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    (Daniel Pramberger)
    28.12.2017
    10:52 Uhr