Da habe ich aber lange durchgehalten - So oder so ähnlich würde Matthew Perry vielleicht selbst sein Ableben kommentieren, das zwar in einem relativ jungen Alter passiert, aufgrund seiner Vorgeschichte aber trotzdem nicht ganz überraschend kommt, wenn auch deshalb nicht weniger tragisch ist. Perry hatte nach einem Darmdurchbruch im Jahr 2018 eine nur zwei prozentige Überlebenschance gehabt, sich aber wieder zurück ins Leben gekämpft. Bereits während seiner Zeit in „Friends“ Ende der 1990-er und in den früheren 2000-er Jahren war er durch unzählige Drogen- und Alkoholentziehungskuren gegangen, unterstützt von seinen Co-Darsteller*innen (allen voran Jennifer Aniston). Seiner Arbeit merkte man das nie an, er gibt aber in seiner schonungslos ehrlichen und sehr lesenswerten Biografie „Friends, Lovers and The Big Terrible Thing“ Hinweise, wie man in der Serie äußerlich erkennt, was gerade mit ihm los war: „Wenn ich dick bin, ist es der Alkohol, wenn ich dünn bin, sind es Tabletten. Trage ich Bart, sind es viele Tabletten.“
Eindrücklich schildert er in seiner Biografie auch, wie er im Gemeinschaftsraum einer Suchtklinik die Oscarverleihung 2001 verfolgt, bei der Julia Roberts die Auszeichnung für die beste Hauptdarstellerin erhielt. Roberts war eine seiner Lebenspartnerinnen gewesen, die übrigens er verlassen hatte, aus lauter Panik, dass sie ihm zuvorkommen könnte. Matthew Perry war das ungeplante Kind sehr junger Eltern, die sich bald nach seiner Geburt trennten und jeweils neue Familien gründeten. Obwohl sich Perry gut mit seinen Halbgeschwistern verstand, fühlte er sich immer auch als Fremdkörper und nirgends wirklich zugehörig. Später war er verzweifelt auf der Suche nach Liebe und Nähe, gleichzeitig fürchtete er nichts mehr als eine ernsthafte Beziehung aus Angst, wieder verletzt zu werden. Deshalb sabotierte er (unter anderem) die Verbindung mit Roberts. In dieser Bindungsangst-Problematik sah er auch die Wurzel seiner Suchterkrankung.
Matthew Perry wird, und das ist das Schicksal, wenn man eine Rolle so verkörpert, dass man quasi mit ihr verschmilzt, vor allem als Chandler Bing in Erinnerung bleiben. Dabei war er als Letzter für die Serie gecastet worden, beinahe hätte er Craig Birko, damals einer seiner besten Freunde, die Rolle vermittelt, obwohl er wusste wie sehr sie seine ist. Aber Perry war vertraglich noch an eine andere, sehr erfolglose Serie gebunden. Aufgrund einiger schicksalhafter Fügungen stieß er letztendlich aber doch noch zum Friends-Ensemble dazu und diejenigen, die „Friends“ lieben, lieben vermutlich auch Chandler ein bisschen. In einer Serie, in der alle sechs Hauptfiguren gleichermaßen witzig sein sollten (und das durchaus auch sind) war er dennoch der Interessanteste, weil er die vielschichtigste Figur war und auch die größte Begabung für etwas hatte, das man wohl als „Comedy-Timing“ bezeichnen könnte. So etwas ist nicht zu erlernen, das besitzt man oder eben nicht. Perry war darin so gut, dass die Produzenten der Serie ihn oft um Rat fragten, wenn Szenen nicht so richtig funktionierten. Und er machte dann Vorschläge, was man weglassen sollte oder wie man Sätze umformulieren könnte, damit sie zünden.
Chandler Bing beschreibt sich selbst in einer Folge einmal folgendermaßen: „I am not great at the advise. Can I offer you a sarcastic comment?“ Ja, er ist der mit dem Sarkasmus, der mit dem komischen Namen und dem Job, von dem nicht einmal die Freunde wissen, was genau er da tut. Rachel und Monica scheitern in einer der besten Folgen der Serie bei einem Wettkampf daran, seine Berufsbezeichnung nennen zu können. Chandler ist der, dem in jeder Situation ein treffend-beißender Kommentar einfällt, immer pointiert, immer klug, dabei aber nicht verletzend. Er ist auch der, der extra ein Spiel erfindet, bei dem er immer verliert, um seinem damaligen Mitbewohner Joey mit Geld aushelfen zu können, das dieser aus Stolz sonst nicht angenommen hätte. Letztendlich gilt Chandlers kritischer Blick in erster Linie sich selbst. Bing der, wie Perry, eine schwierige Kindheit hatte, den Selbstzweifel und Unsicherheiten plagen, flüchtet sich nie in Wehleidigkeit, seine Bewältigungsstrategie ist immer der Humor. Für Chandler gibt es in „Friends“ eine positive Wendung, die seinen Charakter noch weiterentwickelt, nämlich als er mit Monica zusammenkommt und in weiterer Folge einen Adoptionsprozess mit ihr in Angriff nimmt.
Perry hat im Zuge des Serienerfolgs auch einige Filme gedreht, unter anderem „Fools Rush In“ mit Salma Hayek und „Ein Date zu dritt“ mit Neve Campell. Vor allem aber „Keine halben Sachen“ mit Bruce Willis, seinem wahrscheinlich größten Erfolg abseits der Sitcom, weil auch hier sein Gespür für Situationskomik stark gefordert war. Der Film lebt davon und von der Interaktion Willis/Perry. Die beiden freundeten sich an und im Zuge eines Wetteinsatzes übernahm Willis dann eine ziemlich schräge Gastrolle in „Friends“. Über Willis schreibt Perry in seiner Biografie, dass dieser im Gegensatz zu ihm wisse, wann es genug mit dem Alkohol sei, der aufhören und ins Bett gehen könne und, dass er „ein richtiger guter Kerl“ sei, dem er für die Herausforderungen, die seine Erkrankung bringe, alles Gute wünsche.
Auch Perry hat sich speziell in den letzten Jahren seinen Herausforderungen oder auch Dämonen gestellt. Er war trocken geworden und er nahm keine Drogen mehr, denn ihm war klar, dass er sich nicht noch einen Rückfall erlauben konnte. Er lebte zurückgezogen in Los Angeles, voller neuer Ideen für Projekte, täglich dankbar, noch hier sein zu können. Er bezeichnet sich in seiner Biografie als angekommen und neugierig auf das, was noch passieren würde.
Sein letztes Instagram Posting zeigt ein Foto von seinem Jacuzzi, in dem er ein abendliches Bad genießt. Ebendort wurde er einige Tage später, am 28. Oktober leblos aufgefunden; wie die Medien berichten ohne Anzeichen für Drogenkonsum. Viele sehen das Foto nun als böses Vorzeichen, aber man kann es auch so interpretieren, dass Perry in einem Moment des Einklangs mit sich selbst gegangen sein durfte. Auch wenn mir bewusst ist, dass man diese Interpretation als übertrieben rührselig werten kann, so wünsche ich mir das zumindest für ihn, einen Schauspieler, der mir in schwierigen Zeiten geholfen hat, dessen Art der Darstellung mich immer zum Lachen gebracht hat. Und dessen Reflexionen über sein Leben so wahrhaftig sind, dass sie nicht nur ihm einen Neuanfang ermöglicht hatten, sondern auch andere inspirieren können, die wie er das Leben lieben, manchmal aber auch daran verzweifeln.
Rest in Peace.
29. Oktober 2023, 10:20 Uhr
Heidi@Home, Stars
Heidi@Home: RIP Matthew Perry
Matthew Perry, vor allem bekannt für seine Rolle des Chandler Bing in der Serie „Friends“, ist im Alter von 54 Jahren in Los Angeles verstorben.
von
Heidi Siller (Heidi@Home)