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Heidi@Home: Scenes from a Marriage

Heidi@Home: Scenes from a Marriage

Oder: Why does nobody talk about this fucking endless drama?
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von (Heidi@Home)
„Scenes from a Marriage“ ist eine fünfteilige Miniserie unter der Regie von Hagai Levi, die lose an das gleichnamige Werk von Ingmar Bergman aus dem Jahr 1973 (Szenen einer Ehe) angelehnt ist, einer Betrachtung des langen Endes einer Liebe, 2021 allerdings mit geänderten Vorzeichen.

Damals war der Mann, Johan, derjenige, der eine Geliebte hatte und die Familie verlassen wollte; heute ist es die Frau, Mira, Hauptverdienerin, die sich in einen anderen, wesentlich Jüngeren verliebt. Wie Johan damals will sie für einige Monate ins Ausland gehen und als sie sich dafür rechtfertigen soll, wie sie ihre kleine Tochter so lange alleine lassen könne, reagiert sie zornig: bei einem Mann, so sagt sie, würde niemand fragen, ob er das dürfe. Wenn im Bergman-Film das Ehepaar für ein Magazin zum Thema Partnerschaft interviewt wird, ist es in Levis Serie ein Interview für eine universitäre Untersuchung im Fach Gender Studies. Und wenn Johan auf die Frage nach seiner erfolgreichen Beziehung stolz alles aufzuzählen beginnt was gut läuft, so fragt Jonathan, Miras Mann, 2021: „Was verstehen sie unter erfolgreich?“

Scenes from a Marriage
Fotos: HBO


Obwohl also vieles anders ist als in der Verfilmung der 1970er-Jahre, die Männer empathischer und die Frauen sexuell erfüllter sind, ist es auch heute noch eine schwierige Aufgabe als Ehepaar auf Dauer zu bestehen. Da sind immer noch die vielen Verpflichtungen, die das Leben mit sich bringt: Job, Haushalt, Kindererziehung, gesellschaftliche Teilhabe; dazu Alltagstrott und Routine, sowie das Nachlassen der Leidenschaft, das oft mit einem eklatanten Mangel an Kommunikation einhergeht. Wie Menschen damit umgehen, mag charakterabhängig sein, ob mit Ignoranz wie bei Jonathan oder mit Flucht wie bei Mira - das ist ganz unterschiedlich. Aber nach wie vor erscheint es so, als wäre eine Liebesbeziehung, die man ja aus freien Stücken eingeht und die oft voller Leidenschaft und Hingabe beginnt, auch jene Art von Beziehung, in der man sich gegenseitig unheimlich stark und nachhaltig verletzen kann, gerade weil man sich so gut kennt und sich gegenseitig alle seine Geheimnisse verrät.

Scenes from a Marriage
Fotos: HBO


Oscar Isaac spielt Jonathan als sensiblen, im Grunde ziemlich konservativen jüdischen Mann, der im Glauben und in Traditionen stärker verhaftet ist als er sich selbst eingesteht. Ein Familienmensch, der in der Erziehung seiner Tochter Eva mehr aufgeht als in seiner Arbeit als Universitätsprofessor. Jessica Chastain, Mira, ist die leichtlebige Pragmatikerin, mit Hang zur Experimentierfreude, die die Dinge immer klar und offen beim Namen nennt. Dass Isaac und Chastain privat eng befreundet sind, mag der Chemie, die die beiden miteinander haben zuträglich sein. Die Sexszenen waren, ihrer Aussage nach, trotzdem oder gerade deshalb nicht ganz einfach zu drehen. Für eine Serie sind diese Szenen tatsächlich teilweise relativ explizit, was aber auch irgendwie unvermeidlich ist, erzählt doch die Art, wie zwei Menschen miteinander intim sind ganz viel über die Beziehung an sich; über die Dynamik zwischen den beiden, gerade auch in den verschiedenen Phasen der Loslösung voneinander.

Mira sagt: „You just believe as a couple nothing can hurt you and then you gradually start to realise actually anything can hurt you.“ Es sind kraftvolle Aussagen wie diese, die „Scenes from a Marriage“ ausmachen. Wir sehen Mira und Jonathan dabei zu, wie sie um eine Entscheidung kämpfen: Wollen wir diese Ehe fortführen oder wollen wir das nicht. Mira sagt: „Why does it take so long to split up? Why does nobody talk about this fucking endless drama?“ Und das stimmt, das oft tradierte Bild einer Trennung ist ein klarer, schneller Schnitt; das ist es in vielen Fällen aber einfach nicht. Es ist vielmehr ein langer Prozess, der bewusst bewältigt werden muss, um tatsächlich neu beginnen zu können. Mira und Jonathan machen dabei dieselben Fehler, die jede/r von uns machen könnte und weil wir ZuseherInnen das wissen, sitzen wir gebannt vor diesem gleichermaßen poetischen wie brutal-ehrlichem und stellenweise tieftraurigem Werk.



Die fünf Episoden von „Scenes from a Marriage“ sind auf Sky X zu sehen, derzeit noch ausschließlich in der englischen Originalversion, im November soll die synchronisiere Fassung folgen.