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Heidi@Home: Fleabag

Heidi@Home: Fleabag

Harald Schmidts Lieblingsserie als nonchalantes Paradebeispiel für weibliches Empowerment
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von (Heidi@Home)
Wenn man die Amazon Prime Serie „Fleabag“ anschaut – ich weiß, ich bin a little late to the party – dann gewinnt man ziemlich bald den Eindruck: Das hier ist etwas ganz Großes. Etwas, das wir uns alle wünschen und nicht nur, weil wir, politisch korrekt, einem weiblichen Narrativ folgen wollen. „Fleabag“ ist eine Serie von einer Frau geschrieben, über eine Frau – eine wilde, freche, bittere, aber doch lebensbejahende Frau; eine Frau, die macht, was sie will, sich dabei aber permanent reflektiert, die sex-positiv ist, unheimlich vielschichtig, sympathisch, doch das nicht immer. Sie hat ihre Abgründe. Sie hat ihre Fehler. Ein Traum von einer Protagonistin. Wenn man sie sieht, muss man nicht mal mehr ansatzweise das Wort Bechdel-Test in den Mund nehmen.

Doch der Reihe nach: Fleabag ist eine 33-jährige Londonerin, gespielt von Phoebe Waller-Bridge (auch Drehbuchautorin und Produzentin der Serie), deren wirklichen Namen wir nie erfahren. Vor kurzem ist ihre beste Freundin und Geschäftspartnerin Boo unter tragisch-skurrilen Umständen ums Leben gekommen, nun führt sie alleine und mittelmäßig erfolgreich das Cafe, das beider Lebenstraum war. Fleabag lebt ihr Leben weiter, ihre Trauer versucht sich hinter einer stürmischen Unkonventionalität zu verbergen. Doch sie ist dennoch immer präsent, wenn man genau hinsieht.

Fleabag hat außerdem phasenweise eine ziemlich durchschnittliche On/Off-Beziehung und ist eingebunden in eine äußerst dysfunktionale Familie. Ihre Schwester Claire ist, ihrer Meinung nach, die erfolgreichere Version ihrer selbst, aber voller Neurosen; Claires Mann ist ein, man kann es nicht anders sagen, egoistisches Arschloch. Der neuen Frau von Fleabags Vater (herrlich unsympathisch: Olivia Coleman) möchte man gerne eine Ausgabe „Gewaltfreie Kommunikation“ in die Hand drücken und der Vater schließlich ist ein zu gutmütiger Patriarch, um etwas zur Beruhigung der Lage beitragen zu können. Dabei ist er imstande, seine Mitmenschen geradezu hellsichtig zu analysieren. Beispielsweise ist er derjenige, der Fleabags Schmerz so klar benennt, dass sie selbst verblüfft ist – und auf Abwehr schaltet. Familientreffen sind jedenfalls immer ein Lehrstück in Sachen menschliche Interaktion und ihre Defizite.

Ungezwungen ist Fleabags Umgang mit Sex: Sie redet über alles, sie tut (fast) alles mit wem und wo sie möchte, das wiederum ist eine Lektion in Sachen Selbstermächtigung. Es ist weniger der tatsächliche Genuss der körperlichen Stimulation den Fleabag, laut eigener Aussage, am Sex zu schätzen weiß, eher der Moment in dem sie merkt, dass ihr Gegenüber sie begehrt. Dieser Moment besitzt etwas identitätstiftendes für Fleabag, dafür schämt sie sich nicht, es ist – im Gegenteil – etwas, das ihr Selbstbewusstsein hebt, und über das sie ganz tabulos sprechen kann. Sie ermuntert auch ihr jeweiliges Gegenüber immer wieder, die Dinge offen zu benennen. „Woher kennt ihr euch?“ – „Er hat mich in den Arsch gefickt.“

Zugegeben: diesen Satz sagt Fleabag nicht zu ihrer Stiefmutter, die ihr diese Frage gestellt hat, sondern, mit einem Seitenblick, zum Publikum. Denn auch das ist eine Besonderheit der Serie: Fleabag durchbricht des Öfteren die vierte Wand und spricht direkt mit dem Zuseher– ein inszenatorischer Kniff, der relativ heikel ist, weil er auch schnell ziemlich manieriert wirken kann, und zuletzt durch Francis Underwood in „House of Cards“ doch ziemlich ausgereizt wurde. Hier funktioniert er aber wieder sensationell gut und wird quasi zum Markenzeichen der Protagonistin. Wir Zuschauer wollen alle sehen mit welchem Gesichtsausblick Fleabag auf diese oder jene Situation reagiert, welchen Kommentar sie für die eine oder andere Begebenheit auf Lager hat. Und sie enttäuscht uns nicht.

Schade ist, dass „Fleabag“ nur zwei Staffeln zu je sechs Folgen hat und auch keine Fortsetzung geplant ist. Andererseits zeugt es von der künstlerischen Integrität von Frau Waller-Bridge, dass sie diese mit Emmy, Golden Globe, BAFTA und diversen anderen Preisen ausgezeichnete Serie beendet, wenn sie es für angemessen hält und nicht erst dann, wenn sie finanziell ausgeschlachtet ist. Wir werden von Phoebe Waller-Bridge sicher noch viel hören – vielleicht mit einer ähnlich ambitioniert gezeichneten Frauenfigur in der Hauptrolle, in einer anderen Lebensphase.
Die Autorin
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Heidi@Home


Forum

  • Bond

    Ich hab gerade gelesen, dass Phoebe Waller-Bridge als Autorin die Dialoge im neuen James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ aufgeppt hat.
    Da bin ich schon gespannt was bei dieser Kombination rauskommt ;)
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    06.02.2020, 10:59 Uhr
    • Spannend

      Das klingt tatsächlich spannend! :-)
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      09.02.2020, 19:43 Uhr
  • Spitzenserie

    Das ist einen Spitzenserie. Danke für den Bericht.
    Schade nur dass die Serie so kurz ist. Nur je 6 Folgen, da ist ja „The Irishman“ länger ;)
    treadstone71_02519ad8f6.jpg
    05.02.2020, 08:34 Uhr
    • Stimmt

      hihi der war gut ;-)
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      09.02.2020, 19:43 Uhr