Unmittelbar nachdem Castro in Kuba 1959 die Macht übernommen hatte, wendete sich die kubanische Kommunistische Partei an die elitäre Filmindustrie der UDSSR: Russische Avantgardedisten sollten in Kuba eine ähnliche Filmindustrie wie im Heimatland aufbauen: Innovativ, technisch perfekt, jedoch stets politisch motiviert und -gesteuert. Die erste Filmidee war naheliegend: Eine Geschichte über die Kubanische Revolution. Der russische Filmregisseur Mikhail Kalatozov reiste mit seinem Kameramann Sergey Urusevsky nach Kuba um, ohne feststehendes Drehkonzept oder Drehbuch, an „Soy Cuba“ zu arbeiten.
„Ich bin Kuba“, so die Übersetzung des Originaltitels, bricht die Erzählkonventionen des Kinos und macht eine ganze Nation zum Protagonisten: Eine weibliche Stimme, die sich stets als die Nation Kuba selbst vorstellt, erzählt, in verschiedene Episoden unterteilt, von Schicksalen kurz vor und während der Revolution des Jahres 1959. Die erste Story widmet sich Maria, einer jungen Frau, die in den Vorstadt-Barraken Havannas lebt und einen Job als Tänzerin in einem Kasino annehmen muss. Sie verbringt eine Nacht mit einem amerikanischen Kapitalisten – und zerstört dadurch letztenendes ihre vormals glückliche Beziehung zu einem mittellosen Obstverkäufer. Die zweite Episode widmet sich einem Farmer, dessen Land von einem Großgrundbesitzer weiterverkauft wird und der dadurch die Lebensgrundlage für sich und seine Kinder verliert. In der dritten Geschichte wird von einem studentischen Aufstand in Havanna und einem jungen Revolutionär, der auf eigene Faust ein politisches Attentat verüben will erzählt. Schließlich endet der Film in einer letzten Episode über die Illusion der Neutralität: Ein Bauer im kubanischen Gebirge will von Ideologien nichts wissen und sich und seine Familie aus dem Konflikt halten – bis ihre ärmliche Behausung zum Kollateralschaden eines Bomberangriffs der Regierung wird.
Wie in so manchen Filmen aus der UDSSR, die sich der sowjetischen Revolution widment, erzählt „Soy Cuba“ einen ganz klar gezeichneten Konflikt zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeiterschicht und Kapitalismus. Am Ende, nachdem viel Blut, Schweiß und Tränen vergossen wurden, beginnt – wie sollte es anders sein – die glorreiche Zukunft der sozialistischen Herrschaft.
Die Story ist in dieser Form im sowjetischen Kino schon oft verfilmt worden. Was „Soy Cuba“ zu einer Besonderheit des internationalen Films macht, ist einerseits die Machart und andererseits die Rezeptionsgeschichte. Spektakuläre Plansequenzen, ungeschnittene Kamerafahrten, die über mehrere Stockwerke eines Hauses gehen und letztenendes unter-Wasser in einem Swimming-Pool enden: Lange nach der Wiederentdeckung des Films rätselte man, wie solche Manöver für Kalatozov und Urusevsky überhaupt machbar waren. Komplexe Seiltechniken, U-Boot-Periskop-Linsen und zahlreiche revolutionäre Finessen kamen hierbei zum Einsatz. Doch der Film fand weder bei der politischen Elite Kubas noch bei den Herrschernder Sowjetunion Anklang und verschwand rasch in den Archiven. Kaum jemand wusste nach dem Zusammenbruch der UDSSR etwas über diesen Film, bis ihn schließlich der Kubanische Schriftsteller Guillermo Cabrera Infante für eine von ihm kuratierte Retrospektive am Telluride Film Festival einem neuen Publikum zugänglich machte. Im Laufe der 90er Jahre gab es zahlreiche Restaurierungs-Versuche, u.a. finanziert von Martin Scorsese und Francis Ford Coppola.
Nachdem „Soy Cuba“ in seiner restaurierten Fassung 2003 beim Filmfestival in Cannes aufgeführt wurde, ist der Film immer wieder im Rahmen von Retrospektiven zu sehen und gehört, so unnötig ein solches Emblem wohl auch ist, zu „den Filmen, die man gesehen haben muss“.
Senad Halilbasic & Sebastian Rieger
3. April 2012, 18:30 Uhr
Vintage Views
Vintage Views: Soy Cuba
Ein Widerspruch in sich: „Soy Cuba“ ist ganz eng mit dem Kuba des Jahres 1959 verbunden und gleichzeitig seiner Zeit voraus.