Vintage Views
Vintage Views: Mit dem Herzen denken…

Vintage Views: Mit dem Herzen denken…

Wir lachten, weinten und ärgerten uns: Die großen Melodramen von Douglas Sirk! Vintage Views hat die Achterbahn der Gefühle mitgemacht.
Hätte Douglas Sirk den gleichen Rang einer Ikone erreicht, wenn seine Karriere in Hollywood nicht auf dem Höhepunkt geendet hätte? Von 1952 an drehte der Regisseur unter Produzent Ross Hunter bei Universal-International ein großes Melodrama nach dem anderen. Mit satten Budgets, großen Stars und riesigem Erfolg beim Publikum. „Was der Himmel erlaubt“ (1955), „In den Wind geschrieben“ (1956), „Solange es Menschen gibt“ (1959), um nur ein paar zu nennen – für diese Titel ist er bis heute berühmt. Bei der damaligen amerikanischen Kritik fanden sie keinen Anklang. Oberflächliche, aufgeblasene Schnulzen für die Hausfrauen waren ihnen diese – „Women’s weepies“. In der eigenen Werbung sprach man von „Adult movies“! Filme in denen es um die großen Themen der erwachsenen Empfindung geht: Familie, Beruf, Selbstverwirklichung, Sexualität (niemals ausgesprochen, aber deutlicher gemacht, als man es ihnen heute zutrauen würde), Skandale und Intrigen!

1959 ist für Sirk damit Schluss, er zieht sich mit 63 Jahren gleich völlig aus dem Filmemachen zurück und geht nach Europa. Es hat wirklich die Aura eines Mannes, der in seiner Kunst alle Gipfel erklommen hat und einen Lebensabschnitt beendet.

Die Autoren des Magazins „Cahiers du cinéma“ – Sprachrohr der französischen Filmbewegung Nouvelle Vague – entdeckten schon Ende der 50er Sirk für sich. Auch er sollte für sie ein Beispiel eines erfolgreichen Autorenfilmers wie Hitchcock, Hawks oder Renoir sein. Europas Filmemacher entwickelten überhaupt eine Begeisterung für diesen Mann, der als Hans-Detlef Sierck als Sohn dänischer Eltern in Deutschland Aufwuchs, dort Theater und Film machte, vor den Nazis emigrierte und dann in Übersee Erfolg hatte. „In Wirklichkeit“ also ein europäischer Intellektueller, ein alter Brechtianer, der das amerikanische Publikum Gesellschaftskritik und Satire vorsetzte, ohne dass die es bemerkt hatten – damit auch noch Hits schuf! Jemand also, der das Unmögliche möglich gemacht hat. Und Sirk selbst war nicht vom Erdboden verschwunden, sondern meldete sich selbst dazu, wurde etwa väterlicher Freund von Rainer Werner Fassbinder und formte seinen Mythos in Interviews mit, von dem „Sirk on Sirk“, 1971 von John Halliday, das Einflussreichste ist. Bis dahin schwappte die Welle auch in die USA zurück und seine Werke erlebten auch dort unter jungen Filmschaffenden eine Aufwertung. Nachdem sein oftmaliger Star Rock Hudson 1985 an AIDS verstarb und dessen Homosexualität einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, entwickelte sich auch eine neue Queer- und Genderperspektive auf die Filme.

Was steckt für uns drinnen, wenn wir uns heutzutage auf Sirk einlassen wollen? Erst einmal die eindrucksvolle Bildsprache. Meist sind es Farbfilme, in die man richtig eintauchen kann. Einfallsreiche Einstellungen bringen viel Symbolik auf die Leinwand und immer wieder wird auch Licht und Schatten clever eingesetzt. Optisch sind die Filme zum Anbeißen. Das gilt auch für „Es gibt immer ein Morgen“ (1956), den Sirk gegen seinen Wunsch in Schwarz-Weiß drehen musste. Die Not wurde zur Tugend gemacht das Grau zum Ausdruck der Melancholie und Unzufriedenheit des Protagonisten. Farbe, das ist bei Sirk nicht zuletzt auch immer ein direkter Ausdruck von Gefühl.

Als Melodramen leben die Geschichten natürlich von Emotionalität, jener der Figuren ebenso wie der ihrer Zuschauer. Wer sich auf die Achterbahnfahrt der Gefühle einlässt, hat mehr davon. Mit jedem wird man sich nicht identifizieren können, aber die behandelten Themen sind tatsächlich soziale und psychologische, die bis heute noch relevant sind – z.B. Armut, Rasse, Verantwortung und natürlich Liebe. Manchmal findet man sie nur ein bisschen unter der Oberfläche versteckt und wird stutzig: „Seh ich das von meiner Position jetzt aus so – oder war das für das Publikum damals auch schon ein Ding?“ Wer sich für die 50er Jahre als brodelnden Druckkessel sich ankündigender gesellschaftlicher Veränderungen interessiert, bekommt sie hier präsentiert. Sirks Melodramen sind der Stoff, den Soaps und Telenovelas bis heute nur schlecht imitieren. Gänzlich unplausibel oder reißerisch verkaufen sie sich nie.

Todd Haynes großartige Hommage „Dem Himmel so fern“ hat genau diese Punkte perfekt eingefangen. Wer dann die Originale erlebt hat, sieht ihn mit anderen Augen.



Antiquierte Verhaltensweise und kitschige Ereignisse sind natürlich auch immer wieder zum Lachen. Man kann sich Sirks Filme auch ganz unter dem Stichwort „Camp“ anschauen – übertrieben und unfreiwillig komisch. Allerdings kennt der Mythos Sirk den Regisseur auch als Meister der Ironie, der vielleicht öfter als wir glauben, mit einem Augenzwinkern absichtlich Spaß auf Kosten seiner Figuren hat. Notwendig ist der auf alle Fälle, um uns bis zum nächsten tragischen Ereignis aufzubauen.
Senad Halilbasic & Sebastian Rieger