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  • Bewertung

    Humorvolles Porträt eines verlorenen Mannes

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „Arturo a los 30“: Regisseur, Co-Drehbuchautor und Hauptdarsteller Martín Shanly verrät mit dem Titel seines erst zweiten Spielfilms so einiges. Name und ungefähres Alter des Protagonisten sind also schon bekannt, bevor es im Kinosaal dunkel wird, der Vorspann beginnt. Diese Fixierung auf Zahlen scheint fast ein Markenzeichen des Argentiniers zu sein, in seinem Debüt drehte sich alles um „Juana a los 12“. Im Gespräch auf der Viennale versucht er, diese Theorie zu entkräften. Sein nächstes Projekt werde anders, verspricht er. Zukunftsmusik.

    Aber zurück zum aktuellen Film und Arturo. Shanly lässt die Hauptfigur selbst erzählen, seine Erlebnisse aufschreiben. Schon in den ersten Szenen wird klar: Der Protagonist ist ein Mann, der noch nicht wirklich erwachsen geworden ist, nichts vorzuweisen hat. In seinen 30ern stolpert er eher durchs Leben und hinein in den „schlimmsten Tag seines Lebens“. (O-Ton) Dieser wird mit viel subtilem Humor, aber auch Mut zu allerlei Peinlichkeiten, die etwas unter die Gürtellinie gehen, inszeniert.

    All seine Erfahrungen und Begegnungen haben Arturo zu diesem außergewöhnlichen Fest, der Hochzeit einer Freundin, geführt. Daher lässt Martín Shanly ihn auch auf Erlebnisse aus der Vergangenheit zurückblicken. Mit einer Mischung aus Nostalgie und Schmerz. Die Rückblenden sind meist Episoden, die die Personen vorstellen, die für ihn wichtig sind. Sie alle versammeln sich am schlimmsten Tag seines Lebens wieder rund um ihn. Sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit erzählt „Arturo a los 30“ übers Älterwerden, Erwachsensein, Verletzlichkeit, über Familie, Freundschaft, Beziehungen, Liebe, Identität und Verlust.

    Es sind die großen Themen, die verhandelt werden, als sehr persönliche Erfahrungen eines nicht gerade großen Mannes. Die Kamera ist nah bei Arturo, beobachtet ihn genau, zeigt manchmal seine Sicht. Diese persönliche Perspektive, der Einblick in seine Gefühlswelt, wird durch die Kommentare aus dem Off verstärkt, auch wenn nicht alles direkt auserzählt wird. Zuseher*innen werden Zeug*innen und Vertraute zugleich, das Identifikationspotenzial ist hoch. Sprich: Es wird viel dafür getan, dass man sich in die Hauptfigur einfühlen kann.

    Umgeben von Menschen und doch manchmal ziemlich allein. Die emotionale Distanz wird mit Bildern angedeutet, manchmal direkt angesprochen. Oft ist Arturo allein zu sehen oder zumindest etwas abseits, nicht so vertraut, so nah wie es die anderen untereinander sind. Arturo ist selten mutig/verrückt genug, um mit seinen Freund*innen mithalten zu können. Oft können die Menschen um ihn ihre Gefühle nicht gut genug ausdrücken, ihn keine Nähe spüren lassen. Jedenfalls umgibt ihn ständig eine Melancholie. Oder etwas mehr als das. Das dunkle Geheimnis wird Stück für Stück enthüllt. In diesen stillen, tragischen Momenten entwickelt „Arturo a los 30“ eine emotionale Kraft, die der Geschichte mehr Tiefe verleiht. Es ist keine einfach gestrickte Story über einen verlorenen Mann in den 30ern, der partout nicht erwachsen wird. Es ist mehr.

    Ohne diese schwermütige Note wäre Arturo selbst eher wie ein Clown, der freiwillig oder unfreiwillig herumalbert, kaum ein Fettnäpfchen auslässt. Manchmal ist er das im Film ohnehin, denn nicht alle Witze sind subtil angelegt. Situationskomik wird genauso ausgespielt wie die Eigenheiten der anderen Figuren, die nicht immer schmeichelhaft dargestellt sind. Das Ensemble füllt diese trotzdem liebevoll schrägen Charaktere mit Leben, harmoniert.

    „Arturo a los 30“ funktioniert als Komödie im Großen und Ganzen gut, ist unterhaltsam, wenn auch nicht immer rasend originell. Party und Peinlichkeiten unter Alkoholeinfluss sind fester Bestandteil vieler (Teenie-)Komödien oder Liebeskomödien mit Hochzeiten: Gäste plaudern, Gäste genießen hochprozentige Getränke, Gäste tanzen und blamieren sich. Manchmal nicht nur die Gäste. Shanly schlachtet das feuchtfröhliche Feiern ziemlich aus, ganz witzig, aber nicht mehr. Die Szenen sind klischeehaft und austauschbar, schnell wieder vergessen. Der Film bewegt sich allerdings (zum Glück) nicht ständig in dieser lauten, schrillen Tonart. Er gibt den persönlicheren, originelleren Momenten ebenso Raum. Eine Balance, die es braucht, um sich aus der Masse von Coming-of-Age-Filmen mit Protagonisten, die dem Teenie-Alter längst entwachsen sind, abzuheben. Die kleinen Gesten der Zuneigung, der Nähe, stechen heraus, bleiben im Gedächtnis.
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    (Ursula Rathensteiner)
    04.11.2023
    22:12 Uhr
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