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  • Bewertung

    Die Weingeister die ich rief

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Im Spielfilmdebüt von Achmed Abdel-Salam ist die Hauptfigur vor keinen Geistern sicher, nicht der Vergangenheit, nicht der Gegenwart und möglicherweise auch nicht der Zukunft. Beworben als Horrorfilm, funktioniert er aber auf eine andere Weise als man erst erwartet.

    Michaela (Cornelia Ivancan) kehrt nach dem Tod ihres Vaters in ihr Elternhaus zurück. Dort wird sie ständig mit ihrer dunklen Vergangenheit konfrontiert. Ausgelöst durch diese hatte sie lange mit einem Alkoholproblem zu kämpfen. Mittlerweile ist sie zwar trocken doch ihr Mann (Lukas Turtur) und auch ihre Tochter Hanna (Lola Herbst) vertrauen ihr nicht mehr richtig. Und dann sieht sie plötzlich eine merkwürdige Gestalt die sie zu verfolgen scheint …

    Jene Frau könnte mit ihren langen Haaren vorm Gesicht auch direkt aus japanischen Klassikern gegriffen sein. Die alte Nachbarin, die wirres Zeug von Flüchen und dergleichem redet war so oder so ähnlich auch schon mal da. Jump Scares (inklusive dazugehörigen Fakeouts) dürfen auch nicht fehlen, werden aber glücklicherweise nicht überstrapaziert. Die Zutaten für einen Geisterhorrorfilm nach Schema F liegen bereit. Leider kommt der Horroraspekt von „Heimsuchung“ auch lange nicht darüber hinaus. Meist soll die unheimliche Atmosphäre ausschließlich durch Musik und Sound erzeugt werden. Die sind toll umgesetzt, ebenso die Kamera, also technisch alles einwandfrei. Aber die ersten zwei Drittel sind weniger zum Gruseln.

    Wo „Heimsuchung“ heraussticht, ist das enthaltene Drama über eine suchtkranke Mutter, das den Horroraspekt sogar noch unterstützt. Cornelia Ivancan glänzt in einer überragenden Hauptrolle als Alkoholikerin, die mit (Entzugs-)Erscheinungen zu kämpfen hat. Nur könnte sich das nie so schwerwiegend anfühlen, wäre da nicht Lola Herbst als Gegenpol. Ihre Darstellung von Hannas beginnender Furcht vor ihrer Mutter trägt viel zur emotionalen Wirkung bei. Das Setting des Landhauses in Niederösterreich und seiner Umgebung, fühlt sich dazu vollkommen vertraut an. Im Publikumsgespräch fiel der Satz „man könne es förmlich riechen“ und dem kann ich nur zustimmen. Dadurch wirkt das Drama teilweise wie direkt aus dem Leben gegriffen, und ankert das Fantastische.

    Das alles bedeutet aber keineswegs, dass der Horror komplett zu kurz kommt. Gerade im letzten Akt wird es noch extrem unheimlich. Und zwar auf eine Weise die Potential für ein absolut niederschmetterndes Ende geboten hätte. Das bleibt leider aus (war vielleicht mit österreichischer Filmförderung nicht ganz zu erwarten), doch die letzte Einstellung wirkt definitiv nach.

    Schon der ebenfalls sehr gelungene „Family Dinner“ hat letztes Jahr der breiten Masse bewiesen, dass die Genrelandschaft in Österreich keine karge ist. Ich hoffe inständig dass „Heimsuchung“ ebenso viel Anklang finden wird, auf dass sie weiter wachsen und gedeihen möge.
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    (Markus Toth)
    30.03.2023
    23:33 Uhr