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    Sonnenblumen bei Nacht

    Wir Menschen sind Meister der Verdrängung. Unangenehmes aus früheren Tagen oder Begebenheiten, die nicht als wahrhaftig akzeptiert werden wollen, werden, fest verschlossen im Hinterstübchen des Unterbewusstseins, ad acta gelegt. Dabei kann es aber durchaus passieren, dass sich diese fest verschlossenen traumatischen Erlebnisse als mentale Antimaterie durch die Absperrungen fressen, um ans Tageslicht des Bewusstseins zu gelangen. So eine Rückkoppelung, ausgelöst durch einen Trigger oder Dingen, die fest mit solchen Geschehnissen in Verbindung stehen, lässt sich vor allem filmtechnisch auf dem Silbertablett servieren. Im Genre des Horrors ist die eigene Psyche, die aus dem Hinterhalt kommt, das Beste, was abendfüllendem Schrecken auch noch eine gewisse Tiefe verleiht. Denn wenn der Teufel so aus heiterem Himmel über unbescholtene Bürger hereinbricht, ist das meist nur halb so wild, als wenn sich die vom Terror gerittenen Protagonisten trotz all der Angst vor dem Übernatürlichen endlich den eigenen Dämonen stellen. Der Psychohorror ist geboren, und will gefüttert werden.

    Das tut der österreichische Filmemacher Achmed Abdel-Salam auch in Heimsuchung, seinem ersten Spielfilm fürs Kino mit ausreichend Verständnis für die dramaturgischen Mechanismen einer subtilen Stadtflucht-Mystery, die sich auf dem geisterhaft stillen Dachboden eines Lebensgeschichten erzählenden Nachkriegsgemäuers ordentlich gesundschlafen kann, um dann auf eigentümliche Weise loszupreschen. In völliger Benommenheit müssen letztlich Mutter und Tochter damit klarkommen, die ohnehin schon Schwierigkeiten mit sich selbst haben. Wo mag das Alkoholproblem von Mama Michaela denn letztlich ihre Wurzeln haben? Und wie sehr von Erfolg gekrönt mag denn die impulsive Entscheidung der schon seit fünf Wochen trockenen Mitdreißigerin sein, im Haus ihres kürzlich verstorbenen Vaters noch ein paar Nächte zu verweilen, um das Verhältnis zu ihrer kleinen Tochter zu kitten? Prinzipiell ist das mal keine schlechte Idee, doch wer will schon im Dunst familiären Ablebens Entspannung finden? Die beiden, Mutter und Tochter Hanna, ziehen das durch. Und forsten nebenher auch das Oberstübchen durch. Natürlich stoßen sie auf eine geheimnisvolle Box, eine Büchse der Pandora für das eigene Generationen-Biotop. Und öffnen diese.

    Den Dämonen sollte man sich stellen, das rät vermutlich jeder Psychoanalytiker, vielleicht weniger jeder Psychotherapeut, der zumindest hilft, das Leben mit dem Trauma in den Alltag zu integrieren. Besser wär‘s, das Übel an der Wurzel zu packen. Und da kommt es, in Gestalt einer scheinbar besessenen, geistesgestörten Mutterfigur aus verdrängter Vergangenheit. Der nicht mit dem Stellwagen ins Gesicht donnernde Grusel gelingt österreichischen Filmemachern dabei am besten. Wenn seltsame Geräusche, ein entferntes Jammern, Schritte auf dem Dachboden und Schlafwandeln einhergehen mit einer bedrückenden Stimmung, die sogar in einer von der Sommersonne getränkten Van Gogh-Botanik kaum Halt macht, werden die Ferien am Land zum Parkour zwischen Traum und Wirklichkeit. Missglückt ist dieses Vorhaben in einem ähnlich funktionierenden, australischen Psychogrusel mit dem Titel Run, Rabbit, Run. Auch dort geraten Mutter und Tochter in einen Verdrängungswahnsinn, der von unheimlichen Mächten noch mehr therapiert wird als hier, in Heimsuchung. Wo das Eskalationszenario aber sein Publikum lediglich entnervt zurücklässt, ist Heimsuchung weniger auf Zwang konstruiert, sondern stringenter und nuancierter.

    Die große, sich aufdrängende Frage, warum in aller Herrgotts Namen die beiden nicht wieder abreisen, nachdem schon so einiges nicht mit rechten Dingen zugeht, mag verwundern. Der Wille zur Konfrontation von Mutters Seite mag hier noch gar nicht Thema sein, oder ist es das im Unterbewussten doch? Nichtsdestotrotz tut sich Schauspielerin Cornelia Invancan sichtlich schwer, in ihrer eigenen Rolle sowas wie ein gewisses Maß an nachvollziehbarem Verhalten zu finden. Das bremst auch ihre Leidenschaft für diese Figur, das bremst auch die Leidenschaft von Jungdarstellerin Lola Herbst, die stets das Gefühl vermittelt, nicht zu wissen, was Sache ist. Da kann Achmed Abdel-Salam nicht viel tun, außer mit einer exaltierten Inge Maux als abergläubisches Medium der recht betulichen Geschichte etwas mehr Wahnsinn zu verpassen. Dafür sind die Sonnenblumen bei Nacht die fast schon surreale Bühne für eine Familienaufstellung der gespenstischen Art, die am Ende dann doch noch dem Trauma einer Kindheit ins Gesicht blickt.



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    19.10.2023
    14:20 Uhr
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    Jede Familie hat ihre dunkle Vergangenheit

    Der Todesfall ihres Vaters veranlasst die trockene Alkoholikerin Michi mit ihrem Mann Alex und deren gemeinsamer Tochter Hanna aufs Land in das abgelegene Elternhaus zu fahren. Dort bleiben sie nach der Beerdigung ein paar zusätzliche Tage, und als ihr Mann für seine Arbeit wieder zurück in die Stadt fährt, mehren sich die unheimlichen Ereignisse und Träume, die das verlassene, dunkle Haus zu beherbergen scheint.

    Nächtliche Geräusche, Albträume, Schlafwandeln und mysteriöse Erscheinungen plagen die Mutter schlimmer von Nacht zu Nacht. Bedrohlich hängt die rätselhafte Last der Vergangenheit und der Alkoholismus der Mutter über der Familie. Die zunehmenden Spannungen zwischen Mutter und Tochter in der Abgeschiedenheit der vermeintlichen Landidylle steigern sich schließlich bis zur unvermeidbaren Erlösung.

    Leider kann sich „Heimsuchung“ nicht ganz von gängigen Genreklischees lösen, doch die Handlung findet ohne große Überraschungen dennoch zu einem befriedigenden Ende. Wer auf psychologischen Horror mit einer Prise Familiendrama alá Babadook steht, wird hier fündig – sollte sich allerdings keine Innovationen erwarten.

    Besonders hervorzuheben sind die schauspielerischen Leistungen der Mutter Michi (gespielt von Cornelia Ivancan) und der Tochter Hanna (Lola Herbst). Auch der Stimmungsaufbau und die Doppeldeutigkeit des Films sind sehr positiv anzumerken.
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    02.04.2023
    18:55 Uhr
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    Die Weingeister die ich rief

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Im Spielfilmdebüt von Achmed Abdel-Salam ist die Hauptfigur vor keinen Geistern sicher, nicht der Vergangenheit, nicht der Gegenwart und möglicherweise auch nicht der Zukunft. Beworben als Horrorfilm, funktioniert er aber auf eine andere Weise als man erst erwartet.

    Michaela (Cornelia Ivancan) kehrt nach dem Tod ihres Vaters in ihr Elternhaus zurück. Dort wird sie ständig mit ihrer dunklen Vergangenheit konfrontiert. Ausgelöst durch diese hatte sie lange mit einem Alkoholproblem zu kämpfen. Mittlerweile ist sie zwar trocken doch ihr Mann (Lukas Turtur) und auch ihre Tochter Hanna (Lola Herbst) vertrauen ihr nicht mehr richtig. Und dann sieht sie plötzlich eine merkwürdige Gestalt die sie zu verfolgen scheint …

    Jene Frau könnte mit ihren langen Haaren vorm Gesicht auch direkt aus japanischen Klassikern gegriffen sein. Die alte Nachbarin, die wirres Zeug von Flüchen und dergleichem redet war so oder so ähnlich auch schon mal da. Jump Scares (inklusive dazugehörigen Fakeouts) dürfen auch nicht fehlen, werden aber glücklicherweise nicht überstrapaziert. Die Zutaten für einen Geisterhorrorfilm nach Schema F liegen bereit. Leider kommt der Horroraspekt von „Heimsuchung“ auch lange nicht darüber hinaus. Meist soll die unheimliche Atmosphäre ausschließlich durch Musik und Sound erzeugt werden. Die sind toll umgesetzt, ebenso die Kamera, also technisch alles einwandfrei. Aber die ersten zwei Drittel sind weniger zum Gruseln.

    Wo „Heimsuchung“ heraussticht, ist das enthaltene Drama über eine suchtkranke Mutter, das den Horroraspekt sogar noch unterstützt. Cornelia Ivancan glänzt in einer überragenden Hauptrolle als Alkoholikerin, die mit (Entzugs-)Erscheinungen zu kämpfen hat. Nur könnte sich das nie so schwerwiegend anfühlen, wäre da nicht Lola Herbst als Gegenpol. Ihre Darstellung von Hannas beginnender Furcht vor ihrer Mutter trägt viel zur emotionalen Wirkung bei. Das Setting des Landhauses in Niederösterreich und seiner Umgebung, fühlt sich dazu vollkommen vertraut an. Im Publikumsgespräch fiel der Satz „man könne es förmlich riechen“ und dem kann ich nur zustimmen. Dadurch wirkt das Drama teilweise wie direkt aus dem Leben gegriffen, und ankert das Fantastische.

    Das alles bedeutet aber keineswegs, dass der Horror komplett zu kurz kommt. Gerade im letzten Akt wird es noch extrem unheimlich. Und zwar auf eine Weise die Potential für ein absolut niederschmetterndes Ende geboten hätte. Das bleibt leider aus (war vielleicht mit österreichischer Filmförderung nicht ganz zu erwarten), doch die letzte Einstellung wirkt definitiv nach.

    Schon der ebenfalls sehr gelungene „Family Dinner“ hat letztes Jahr der breiten Masse bewiesen, dass die Genrelandschaft in Österreich keine karge ist. Ich hoffe inständig dass „Heimsuchung“ ebenso viel Anklang finden wird, auf dass sie weiter wachsen und gedeihen möge.
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    30.03.2023
    23:33 Uhr