Filmkritik zu Talk to Me

Bilder: Polyfilm, A24 Fotos: Polyfilm, A24
  • Bewertung

    Die Geister, die ich rief

    Exklusiv für Uncut
    Jede Generation verdient ihren eigenen „Der Exorzist“. Das kontemporäre Gegenstück zur Mutter des Beschwörungshorrors liefern dieser Tage die Australier Danny und Michael Philipou. Das soll nicht heißen, dass „Talk to Me“ einen ähnlich nachhaltigen Verstörungseffekt aufs Kinopublikum ausüben wird, wie es einst William Friedkin gelang. Gut, in einer gegenüber Gewalt so abgestumpften Welt wäre dies auch naiv anzunehmen. Um ihren Schockbildern aber das gewisse Etwas zu verleihen, geht das brüderliche Regie-Duo darüber hinaus dorthin, wo es besonders schmerzt: persönliche Erinnerungen, nie aufgearbeitete Traumata, verdrängte Trauer. Kurzum: die geschundene, menschliche Psyche.

    Von Anfang an umgibt den Horrorthriller eine Aura, die bedrückender kaum sein könnte. Zwei Jahre ist es her, dass Mias Mutter sich ihr Leben genommen hat - ein Trauma, das die 17-Jährige (Sophia Wilde: intensiv) weiterhin nicht kaltlässt. Als ein erschreckender Partytrend die Runden macht, wittert sie die Chance, noch einmal mit ihrer Mama zu sprechen. Und das über eine Kontaktanfrage, die direkt ins Totenreich entsandt wird. Eine abgetrennte, balsamierte Hand solls möglich machen: mit dieser als Medium und der passenden Beschwörungsformel inklusive steht einer Seance im Kerzenschein also nichts mehr im Wege. Doch dieses Ritual, in der Welt des Films als viraler Internettrend hochstilisiert, birgt gespenstische Schattenseiten. Wer seinen Talk mit dem Jenseits nämlich herauszögert, der läuft Gefahr, dass beschwörte Geister sich im eigenen Körper einnisten.

    In ihrem Spielfilmdebüt schicken die Philipou-Zwillinge (über ihren YouTube-Channel „RackaRacka“ bereits seit einiger Zeit in der Horror-Szene etabliert) Zuschauerinnen und Zuschauer auf eine Höllenfahrt, die sich gewaschen hat. Und das, ohne in gewohnte Genre-Fallen zu tappen. Figurenkonstellationen mögen zu Beginn an klassische Teenie-Slasher erinnern, doch der Schein trügt. Zutaten aus mehreren Dekaden Horrorgeschichte werden zu einem frischen, wendungsreichen Shocktail vermischt, der nie an Fahrt verliert - ungeachtet von offensichtlichen Querverweisen. Ganz ohne übliche Jumpscares werden Extremsituationen geschaffen, die großes Unbehagen auslösen. Ins Lächerliche, gar Banale driftet der Exorzismushorror trotz seiner radikalen Inszenierungsmittel aber nie ab. All den Terror erdet das genre-affine Gebrüderpaar nämlich in einer empathisch erzählten Geschichte über Trauer. Der Trauer einer Teenagerin, die einfach nicht loslassen zu weiß. Da wird Besessenheit zur schmerzlindernden Partydroge. Weglaufen ist auf die Dauer aber die falsche Lösung. Der wahre Horror spielt sich, wie hier markerschütternd präsentiert, ohnehin im Kopfkino ab. Oder halt (nicht ganz so) tief vergraben in der Psyche. Und eingedrungene Dämonen heißt es eben zu bezwingen, bevor diese Überhand gewinnen.
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    (Christian Pogatetz)
    27.07.2023
    22:50 Uhr