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    Shakehands mit den Toten

    Einmal nur einen Blick ins Jenseits erhaschen. Wäre das nicht was? In Flatliners reizte diese Vorstellung eine Gruppe junger Medizinstudenten so sehr, dass sie den Wahnsinn beging, sich selbst sterben zu lassen – um dann wieder reanimiert zu werden. Doch das Diesseits hat Regeln und Grenzen. Man sollte schon mit einer gewissen Endgültigkeit das Zeitliche segnen, um in den Genuss der Wahrheit am anderen Ufer des Styx zu kommen. Der Fährmann Charon fordert nicht umsonst einen Tribut, und wenn dann manche wieder umkehren, um daheim zu prahlen, wie cool das nicht war, das Licht am Ende des Tunnels gesehen zu haben, so ist das fast schon als Missbrauch einer „göttlichen Ordnung“ zu verstehen. Überdies bringt so eine Vermengung der Dimensionen einiges in Unordnung. Nebenwirkungen sind die Folge, Geister lassen sich sehen, Albträume plagen die Probanden.

    Auf ähnliche Weise treibt es die Partygesellschaft im vorliegenden australischen Horrorfilm ziemlich bunt. Doch diese jungen Leute hier sind weder Studenten noch streben sie eine noch so geartete wissenschaftliche Erkenntnis an. Für diese Jungs und Mädels ist das Spiel mit der Unterwelt sowas wie Activitiy für die Generation Scheißdrauf. Die auf Social-Media-Kanälen jeden Schwachsinn zum Trend macht und dabei ablacht, als gäbe es kein Morgen mehr. Statt Flaschendrehen heißt es diesmal Händeschütteln, was erstmal nicht so spannend klingt, doch in Wahrheit ist diese Hand, die es zu berühren gilt, eine magische. Genauer gesagt die eines verblichenen Nekromanten, dessen Kräfte aber immer noch in seinen Extremitäten stecken, die man ihm abgenommen hat. Dieser mumifizierte Griffel also steht auf dem Couchtisch im Eigenheim von irgendeinem Young Adult, der das Ganze natürlich filmt und online stellt. Die Challenge ist, diese Hand zu ergreifen und die verheißungsvollen Worte Talk to Me zu rezitieren. Sodann erscheint aus dem Nichts ein Geist, der nicht weiß, wie ihm geschieht, der aber die Möglichkeit in Betracht zieht, wieder mit seiner heißgeliebten Welt zu kommunizieren, die er einst verlassen hat müssen.

    Es wäre kein Horrorfilm, würden diese Toten nicht in ihrem ramponierten Letztzustand erscheinen, von Krankheit und Fäulnis gezeichnet oder schwer verletzt. Milchige Augen starren auf den mutigen Diesseitler, der seine Grenzerfahrung noch mit den Worten Ich lass dich rein so weit steigern kann, dass der Tote in den Körper des Lebenden dringt. Es ist, als würde man sich einen nassen Socken mit nur einer Hand anziehen – bei manchen gelingt das leichter, bei manchen wird’s zur Tortur. Auch die junge Mia (Sophia Wilde), deren Mutter an einer Überdosis Schlaftabletten verstorben ist, pfeift auf die Ordnung der Dinge und triggert das Chaos. Jedes Mal ist das Triezen der Toten ein Kick für alle. Es wird gestaunt, gealbert und verarscht. Und irgendwann will auch der kleine Bruder von Mias bester Freundin ran. Dass Kinder wohl eher davon lassen sollen, sagt schon die Vernunft, doch davon besitzen all die Anwesenden nicht viel. Der Trip wird zum Desaster, die Toten finden einen Weg zu bleiben. Es muss nur der lebende Körper sterben, um übernommen zu werden.

    Von Social Media für (oder gegen) Social Media und darüber hinaus: Die Brüder Danny und Michael Philippou, die mit ihrem zweifelhaften Youtube-Kanal RackaRacka immer wieder für Aufsehen und Kontroversen sorgen, haben ihren ersten Spielfilm gedreht – und lassen mit ihrem Die-Geister-die- ich-rief-Grusel auch wirklich nichts anbrennen. Wo Flatliners noch eher im Spielfeld der Mystery zu verorten war, spielt Talk to Me die Nihilismus-Karte aus. Dabei ist der Thriller bei weitem nicht nur darauf aus, sein Publikum zu erschrecken und mit blutigen Gewaltspitzen zu verstören. Ihren Film treiben so manche seelische Traumata um, die mit Verlustangst, Trauer und Verantwortung zu tun haben. Gerade letzteres, nicht nur gemünzt auf das digitale Sodom und Gomorrha, auf das wohl jeder noch so grüne, unbedarfte Halbwüchsige Zugriff haben kann, wird zur großen Gretchenfrage in einer Dekade, in der alles gefakt, alles erlaubt und Respekt dem Spaß im Wege steht. Den dahinterstehenden Hedonismus verbindet ein Gefühl des Abfeierns bis zum Weltuntergang, denn der, könnte man meinen, steht kurz bevor. In diesem emotionalen Dunst aus Alkohol, frechen Sprüchen und Selbstmitleid haben die Toten leichtes Spiel. Man könnte nun vermuten, dass die im Jenseits böse sind, doch sie werden getrieben von einem radikalen Eigennutz, der beunruhigt. Immer wieder dringt Talk to Me in eine panikmachende Düsternis vor, die vor allem die Furcht vor einer Sache verbreitet: dem Alleinsein.

    Einsamkeit ist hier der wahre Horror. Einsamkeit in vielerlei Gestalt. Entweder, nicht verstanden, nicht gehört oder im Stich gelassen zu werden. Jeder stirbt für sich allein – und bleibt es schließlich auch. Die Isolation im Dies- und Jenseits ist das Entsetzen, weniger die Bilder der gruseligen Toten, die in perfektem Make-up die Lebenden heimsuchen. Dazwischen immer wieder Skizzen eines Psychogramms von Protagonistin Mia, die ihren Trip in oder durch die andere Welt zum Kreuzweg werden lässt. Talk to Me ist somit nichts für schwache Nerven, ein Horrordrama mit Gewicht, aber nicht schwermütig. Stattdessen neugierig, in offenen Wunden bohrend und in den Abgrund blickend. Der blickt bereitwillig zurück.



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    13.11.2023
    17:41 Uhr
  • Bewertung

    Die Geister, die ich rief

    Exklusiv für Uncut
    Jede Generation verdient ihren eigenen „Der Exorzist“. Das kontemporäre Gegenstück zur Mutter des Beschwörungshorrors liefern dieser Tage die Australier Danny und Michael Philipou. Das soll nicht heißen, dass „Talk to Me“ einen ähnlich nachhaltigen Verstörungseffekt aufs Kinopublikum ausüben wird, wie es einst William Friedkin gelang. Gut, in einer gegenüber Gewalt so abgestumpften Welt wäre dies auch naiv anzunehmen. Um ihren Schockbildern aber das gewisse Etwas zu verleihen, geht das brüderliche Regie-Duo darüber hinaus dorthin, wo es besonders schmerzt: persönliche Erinnerungen, nie aufgearbeitete Traumata, verdrängte Trauer. Kurzum: die geschundene, menschliche Psyche.

    Von Anfang an umgibt den Horrorthriller eine Aura, die bedrückender kaum sein könnte. Zwei Jahre ist es her, dass Mias Mutter sich ihr Leben genommen hat - ein Trauma, das die 17-Jährige (Sophia Wilde: intensiv) weiterhin nicht kaltlässt. Als ein erschreckender Partytrend die Runden macht, wittert sie die Chance, noch einmal mit ihrer Mama zu sprechen. Und das über eine Kontaktanfrage, die direkt ins Totenreich entsandt wird. Eine abgetrennte, balsamierte Hand solls möglich machen: mit dieser als Medium und der passenden Beschwörungsformel inklusive steht einer Seance im Kerzenschein also nichts mehr im Wege. Doch dieses Ritual, in der Welt des Films als viraler Internettrend hochstilisiert, birgt gespenstische Schattenseiten. Wer seinen Talk mit dem Jenseits nämlich herauszögert, der läuft Gefahr, dass beschwörte Geister sich im eigenen Körper einnisten.

    In ihrem Spielfilmdebüt schicken die Philipou-Zwillinge (über ihren YouTube-Channel „RackaRacka“ bereits seit einiger Zeit in der Horror-Szene etabliert) Zuschauerinnen und Zuschauer auf eine Höllenfahrt, die sich gewaschen hat. Und das, ohne in gewohnte Genre-Fallen zu tappen. Figurenkonstellationen mögen zu Beginn an klassische Teenie-Slasher erinnern, doch der Schein trügt. Zutaten aus mehreren Dekaden Horrorgeschichte werden zu einem frischen, wendungsreichen Shocktail vermischt, der nie an Fahrt verliert - ungeachtet von offensichtlichen Querverweisen. Ganz ohne übliche Jumpscares werden Extremsituationen geschaffen, die großes Unbehagen auslösen. Ins Lächerliche, gar Banale driftet der Exorzismushorror trotz seiner radikalen Inszenierungsmittel aber nie ab. All den Terror erdet das genre-affine Gebrüderpaar nämlich in einer empathisch erzählten Geschichte über Trauer. Der Trauer einer Teenagerin, die einfach nicht loslassen zu weiß. Da wird Besessenheit zur schmerzlindernden Partydroge. Weglaufen ist auf die Dauer aber die falsche Lösung. Der wahre Horror spielt sich, wie hier markerschütternd präsentiert, ohnehin im Kopfkino ab. Oder halt (nicht ganz so) tief vergraben in der Psyche. Und eingedrungene Dämonen heißt es eben zu bezwingen, bevor diese Überhand gewinnen.
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    27.07.2023
    22:50 Uhr