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  • Bewertung

    Annäherung an eine Unnahbare

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Elfriede Jelinek ist die wahrscheinlich bedeutendste Schriftstellerin Österreichs der Gegenwart und das nicht erst seit 2004, als sie den Nobelpreis für Literatur erhalten hat. In ihrer Heimat ist sie, wie es so schön heißt, umstritten und hat sich - auch deswegen - seit geraumer Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Regisseurin Claudia Müller zeichnet ein Porträt der Autorin mit all ihren Ambivalenzen: Jelinek, die Schriftstellerin, die permanent Konflikte provoziert, davor aber gleichzeitig auch zurückschreckt, die genau weiß, was sie will, dabei aber hochgradig fragil ist, die harte Urteile fällt, mitunter aber auch gegen sich selbst.

    Müller beginnt chronologisch. Jelinek wurde als Kind von Eltern im fortgeschrittenen Alter in der Steiermark geboren. Die Mutter ist gläubige Christin, der Vater Jude. In ihrer Kindheit hat sie praktisch keine Freizeit, weil die Mutter sie zu einem musikalischen Genie erziehen will und dieses Ziel mit einer Besessenheit anstrebt, die sogar die Lehrpersonen Alarm schlagen lässt. Jelinek beginnt mit dem Schreiben, weil das die einzige Kunstform ist, die ihre Mutter nicht unterstützt. Das zunächst angestrebte Medizinstudium bricht sie ab, ein ganzes Jahr verlässt sie aufgrund einer Angststörung das Haus nicht. Das ist auch die Überleitung zum Nobelpreis: als Jelinek über die Auszeichnung in Kenntnis gesetzt wird, sagt sie, sie müsse den Preis ablehnen, wenn es Bedingung wäre, ihn persönlich entgegen zu nehmen. Sie kann nicht reisen und reagiert, wie sie selbst trocken erzählt, auf den Anruf auf Stockholm so wie sie auf vieles reagiert: mit einem Nervenzusammenbruch.

    Claudia Müllers Film arbeitet mit unterschiedlichstem Bildmaterial, teilweise aus dem privaten Fundus der Autorin, teilweise mit Material aus dem Fernsehen, das ihr öffentliches Leben widerspiegelt. Wenn Künstler*innen Jelineks Worte lesen, so wird dies von Landschafts- und Stadtaufnahmen begleitet, die eigens für den Film produziert wurden. Das ist sehr eindrucksvoll, weil man sich dabei richtig auf Jelineks unerbittlichen Texte einlassen kann. Man merkt, dass es der Germanistin Müller ein Anliegen ist, das Publikum den Sog spüren zu lassen, den ihre Sprache entwickelt und diesen auf sich wirken zu lassen. Um welche Schriften es sich jeweils handelt und wer diese vorliest, darüber wird der Zuseher nicht informiert, was dem Film einerseits eine künstlerische Note verpasst, das Publikum andererseits natürlich etwas im Dunklen tappen lässt, doch diese Vorgehensweise hat ihren besonderen Reiz, hier verschwimmen die Grenzen zwischen Dokumentation und Kunstform.

    Jelinek ist in ihren Texten radikal und hochpolitisch, ihr geht es nie um die Probleme eines Individuums, sondern um die Phänomene der Masse: Um Unterdrückung, Antisemitismus, Klassismus, Determinismus und das Patriachat. Dieser Film bietet auch einen Blick auf ein ganz bestimmtes Österreich, bietet ein Österreich-Bild, das Jelinek in ihren Texten noch konsequenter und radikaler vermittelt als Thomas Bernhard, weil dessen ironischer Unterton fehlt oder zumindest schwieriger zu dechiffrieren ist. Es ist ein (Rück)blick auf Rechnitz („Der Würgelengel“) und Paula Wessely („Burgtheater“), auf Kurt Waldheim, Ischgl und die Wirkung des Sports („Ein Sportstück“), Massentourismus und Naturvernichtung, sowie auf die FPÖ und den Umgang mit Künstler*innen („Stecken, Stab und Stangl“). So wie es eben Fellinis „Roma“ war, das er in seinem gleichnamigen Film vorgestellt hat, so ist das Jelineks Österreich, wenn man so will; und diese Perspektive hat Jelinek schließlich auch das Image gegeben hat, das sie in ihrer Heimat bis heute hat.

    Was mir an dieser zweifellos beeindruckenden Dokumentation ein bisschen fehlt, ist ein Einhaken an „Bruchstellen“ in Jelineks Leben. Dem Austritt aus der kommunistischen Partei etwa, dem von ihr selbst initiierten Aufführungsverbot ihrer Stücke in Österreich, das sie binnen kurzer Zeit wieder aufhob, oder auch die (Mit)unterzeichnung einer Petition zur Freilassung von Jack Unterweger, die schließlich auch erfolgte. Stimmen von außen gibt es in diesem Film nur diejenigen, die ohnedies immer die Oberhand in der öffentlichen Wahrnehmung hatten; Weggefährten oder Gleichgesinnte kommen nicht zu Wort. Vielleicht, weil Claudia Müller das Psychologisieren in ihrem Porträt vermeiden will, wie sie selbst sagt.

    Mit „Jelinek – die Sprache von der Leine lassen“ ist Müller ein anspruchsvolles, dabei aber auch gut zugängliches und kurzweiliges Porträt einer Vielschichtigen gelungen, das vor allem das Ziel hat, Lust auf Jelineks Werk und damit auf die eigenen Interpretationen zu machen. Diese Mission ist auf jedenfalls geglückt.
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    (Heidi Siller)
    02.11.2022
    21:42 Uhr
    Autorin der monatlichen Kolumne „Heidi@Home“ rund ums Thema „Fernsehserien“.