Verblendung

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Forumseintrag zu „Verblendung“ von Heidi@Home


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Heidi@Home (11.01.2012 23:14) Bewertung
Verblendung

Vorweg geschickt: ich gehöre wahrscheinlich zu den wenigen Kinobesuchern, für die die Fincher-Interpretation von „Verblendung“ (im Original: „The Girl with the Dragon Tattoo“) der erste Kontakt mit der Welt des Stieg Larsson und seiner Millennium-Trilogie ist. Ich habe weder Larssons Bücher gelesen, noch die erst vor kurzem entstandenen schwedischen Filme gesehen; außerdem wusste ich beinahe nichts über den Plot. Insofern kann ich hier keine Vergleiche anstellen, sondern nur den Eindruck wiedergeben, den ich von Finchers Film habe.

Kurz zur Handlung: Der Wirtschaftsjournalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig) wird nach Enthüllungen über einen korrupten Unternehmer verurteilt. Obwohl er auf der richtigen Spur war, haben ihn gefakte Hinweise der Gegenseite zu Fall gebracht. Mikael hat dadurch sein Vermögen und seine Reputation verloren. In dieser verzweifelten Situation bietet ihm Henrik Vanger (wunderbar wie immer Christopher Plummer) – ein alter und reicher Patriarch um Hilfe: Blomkvist soll das Verschwinden seiner Nichte untersuchen, deren Schicksal ihn sei vierzig Jahren nicht zur Ruhe kommen lässt. Im Laufe seiner Ermittlungen trifft Blomkvist auf die Computer-Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara)…

Salander ist die vielleicht faszinierendste und zugleich ambivalenteste Protagonistin der neueren Krimilandschaft: eine schon als Kind mehrfach missbrauchte Borderlinerin mit Punk-Attitüde, unzählige Male gepierct und tätowiert, blass, dünn, verschlossen und genial in ihrem Geschäft; doch immer darauf bedacht, andere Menschen – insbesondere Männer – auf Distanz zu halten. Eine beschädigte Heldin des 21. Jahrhunderts, wenn man so will. Rooney Mara gibt Salander hinter all der Gewaltbereitschaft, die von der angestrebten Selbstbestimmung rührt, etwas sehr verletzliches und auch kindliches. Ihr Aussehen ist hier eher Schutzschild für eine zerbrechliche Seele, denn bewusste Provokation.

Daniel Craig erinnert als Mikael nie an James Bond – außer, wenn er sein Shirt auszieht. Laut Pressemappe musste er etwas an Gewicht zulegen, doch sein Körper ist dennoch eine Spur zu durchtrainiert, um der eines Schreibtischarbeiters zu sein; davon abgesehen ist Craig aber hervorragend besetzt, und kann eine bisher eher wenig bekannte Facette seines Könnens zeigen; er erschafft mit Mikael eine Figur voller Empathie und Wahrhaftigkeit, er porträtiert ihn als einen Mann mit Prinzipien, der trotzdem menschlich und fehlbar bleibt.

Regisseur David Fincher ist hier der große Wurf gelungen, der bei seinem Vorgängerfilm „The Social Network“ herbei geredet wurde; sicher: Fincher schaffte es, in seinem Porträt von Facebook und Mark Zuckerberg einen Stoff solide zu dramatisieren, der sich eigentlich nicht für die Leinwand eignet. Doch bei „Verblendung“ kann er tatsächlich richtig aus dem Vollen schöpfen, er hat eine höchst spannende und ergiebige Geschichte vor sich, die er opulent und stimmungsvoll bebildern kann, sowie mit eindrucksvoller Musik (einmal mehr Trent Reznor und Atticus Ross) untermalen. Dazu kommt die reizvolle Aufgabe, die modernste Gegenwart mit der Zeit der 1960er Jahre zu verbinden und zu konterkarieren – vergilbte Fotos werden mit neuester Technik bearbeitet, Fakten von damals per Google recherchiert, Laptops, die alle Stücke spielen, neben Aktenstößen aufgeklappt. Vergangenheit und Gegenwart vermitteln beide eine ganz eigene, leicht artifizielle Ästhetik, die eine besondere Stärke des Films ist.

Natürlich ist „Verblendung“ in manchen Szenen gnadenlos brutal (wie Fincher sagt, auch gewollt unzensiert), aber die Brutalität gehört zu dieser Geschichte, sie ist kein Selbstzweck. Kleiner Schwachpunkt in einem fast perfekten Werk ist die Menge an Informationen, die vor allem gegen Ende des Filmes noch vermittelt werden – doch das trübt den außerordentlichen Eindruck nicht nachhaltig. Der Film schrammt nur knapp an der Höchstpunktezahl vorbei. Believe the hype!
 
 

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