Filmkritik zu Sparta

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  • Bewertung

    Das Leben ist (k)ein Kinderspiel

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Ulrich Seidl ist gewiss kein Unbekannter, wenn es um Skandale geht. Das gleichermaßen geschätzte und verhasste österreichische Enfant terrible stand bereits 2014 im Kreuzfeuer der Kritik, nachdem er für seine Doku „Im Keller“ das Interieur eines Nazikellers unkritisch mit der Kamera begleitet hatte. Doch eine mediale Schelte dieser Form war selbst für den Provokateur ein Novum: im Spätsommer 2022 kursierten Berichte im Netz, denen zu Folge bei den in Rumänien erfolgten Dreharbeiten zu Seidls neuem Spielfilm „Sparta“ Kinderschutzgesetze nicht strikt genug befolgt wurden. Die Tatsache, dass der Film vordergründig einem Charakter mit pädophiler Störung folgen würde und dies den Laiendarstellern angeblich nicht ausreichend kommuniziert wurde, ließ nur umso mehr Alarmglocken losgehen. Seidl und sein Team haben die Vorwürfe mittels elendslanger Textblöcke vermehrt zurückgewiesen. Welcher Seite man nun Glauben schenken soll? Das muss jeder Zusehende für sich selbst entscheiden. Fern von dem ganzen Medientrubel ist Seidl hier aber allemal ein erneut eindringliches und von schmerzhaftem Hyperrealismus durchdrungenes Charakterporträt geglückt.

    Die spirituelle Fortsetzung zu Seidls „Rimini“, der sich mittels ungewohnter Warmherzigkeit dem abgehalfterten Schlagerbarden Richie Bravo widmete, rückt Bravos eigenen Bruder Ewald (Georg Friedrich) ins Zentrum. Dieser ist seit einiger Zeit in Rumänien beheimatet, hat dort einen ordentlich bezahlten Job und ist verheiratet. Doch dann verlässt der Mittvierziger mir nichts, dir nichts seine Frau und begibt sich in ein anderes rumänisches Dorf. Dort angekommen, entdeckt er ein verlassenes Schulgebäude, das er zur abenteuerlichen Judoschule für junge Buben umfunktioniert. Ewald trägt aber ein düsteres Geheimnis mit sich, dessen unbequeme Wahrheit erst durch Implikationen ans Licht kommt: er hegt pädophile Neigungen.

    Die Grundthematik alleine dürfte genügen, um Seidls neuestes Machwerk auch abseits der real geschehenen (oder nicht geschehenen) Skandale zum großen Streitthema zu machen. Dabei lässt sich ein gewisser plakativer Schockfaktor, der häufig Seidls Frühwerk nachgesagt wurde, hier weitgehend nicht vorfinden. Das soll nicht heißen, dass der Film seine Thematik mit Samthandschuhen anfasst. Im Gegenteil: in gewohnter Manier lässt Seidl die Kamera dort laufen, wo andere Regisseur*innen längst schon „Schnitt!“ gerufen hätten. Das ist bisweilen schockierend, obszön, ein paar Male sogar grenzwertig, aber nie auf eine plump provokante Weise. Die gefährliche Falle des „misery porn“ konnte auch hier geschickt umgangen werden, in dem all der jämmerlichen Tristesse eine grundlegende Zutat beigefügt wurde, die auch schon in „Rimini“ den menschenverachtenden Nihilismus im Zaum hielt: Menschlichkeit. Anstatt die fragliche Hauptfigur stereotyp auf ein Monster zu reduzieren, akzentuiert Seidl die innere Zerrissenheit Ewalds. Ein emotionaler Zusammenbruch im Auto, ein intimes Gespräch mit dem entfremdeten Nazi-Vater, ein krankhaftes Rückbesinnen auf kindliche Werte: der großartige Georg Friedrich legt diesen in anderen Händen ganz und gar hassenswert aufgenommenen Charakter als zwar bemitleidenswerten, aber vollwertigen Menschen fern jeglicher Horror-Karikatur an. Und dieser ohnehin schwer anzusehende Tumult, den Ewald mit sich selbst auszubaden hat, gestaltet die unentrinnbare Abwärtsspirale, in die er sich hineingräbt, umso härter mit anzusehen. Dass Seidl trotz aller Dinge vor bitteren Realitäten nicht die Augen schließt, zeichnet sein Schaffen aus. Dennoch schwingt gegen Ende ein dezenter Optimismus mit, der das Gute im Menschen noch nicht gänzlich aufgegeben hat. Das ist alles selbstverständlich fern von einem Happy-End, fern von fantasievollen Scheinwelten, aber … auf eine perfide Weise: dennoch hoffnungsvoll? Seidl hat im Herbst seiner Karriere noch seine zärtliche Ader als Filmemacher entdeckt. Und diese kann im ähnlichen Ausmaß schmerzvoll wie wohltuend sein.
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    (Christian Pogatetz)
    12.02.2023
    13:24 Uhr