Filmkritik zu Monica

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  • Bewertung

    Fremde Mutter, fremde Tochter

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Der italienische Regisseur Andrea Pallaoro siedelt den Spielfilm „Monica“ in seiner Wahlheimat USA, genauer im Mittleren Westen, an. Er schickt darin die Protagonistin auf eine Fahrt nach Cincinnati, die gleichzeitig eine Reise nach Hause und zu sich selbst ist.

    Monica, von der amerikanischen Schauspielerin Trace Lysette verkörpert, erhält einen Anruf, der sie zwingt, sich mit ihrer Vergangenheit und ihrer Familie auseinanderzusetzen. Die junge Frau, die sich mittlerweile in L.A. ein Leben aufgebaut hat, erfährt von ihrer Schwägerin, dass ihre ihr entfremdete Mutter wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben hat. Etwas zögerlich beschließt Monica, zu ihrer Familie zu reisen, mit der sie keinen Kontakt mehr hat. Vom offenen Großstadtleben geht es in heimatliche Gefilde, an einen Ort, den Monica jahrelang gemieden hat. Monicas Mutter (Patricia Clarkson) ist allerdings schwer krank und so verwirrt, dass sie die junge Frau, die sich plötzlich um sie kümmern möchte, nicht erkennt. Doch Monica versucht, sich der Herausforderung zu stellen. Sie muss ihre Traumata aufarbeiten, die Beziehung zu ihrem Bruder ausloten und erhofft sich vor allem eines: Von ihrer Mutter als Tochter akzeptiert zu werden.

    Pallaoro zeichnet mit „Monica“ das intime Porträt einer verletzlichen und zugleich starken Frau. Vor mehr als 20 Jahren von der Mutter verstoßen, war die Protagonistin bisher auf sich allein gestellt. Kontakt zur Familie hatte sie nicht mehr gesucht, wollte nicht gefunden werden. Die Nachricht vom bevorstehenden Tod der Mutter erreicht sie allerdings. Damit beginnt eine Reise in die ehemalige Heimat, die viel mehr ist als das. Sie ist eine Reise in die Vergangenheit, eine Reise in die Zukunft und ebenso eine Reise zu sich selbst. Zuschauer*innen können Monica auf ihrem Weg begleiten. Ganz nah verfolgt die Kamera ihre Schritte, die Gespräche mit ihrem Bruder Paul und dessen Frau und vor allem die anfangs noch zaghaften Berührungen, wenn sich Monica um ihre Mutter kümmert, die sie nicht einmal erkennt.

    An Monicas resignierendem Gesicht lässt sich der Schmerz der zurückgekehrten Tochter erahnen. Die Mutter, die häufig völlig verwirrt in Panik verfällt, scheint zu krank zu sein, um ein Erkennen, eine Aussprache und gegenseitige Akzeptanz möglich zu machen. Die ersehnte Versöhnung mit der Vergangenheit erscheint unerreichbar. Und trotzdem macht Monica weiter. Sie kämpft gegen den Impuls aufzugeben an, bleibt bei ihrer Mutter.

    „Monica“ ist ein Film der intimen Momente, der kleinen Gesten, die zu großen Taten werden. Es ist ein Film, der seine Spannung von den Beziehungen der Protagonisten zueinander bezieht. Er gibt außerdem Menschen Raum, die sonst nicht im Mittelpunkt stehen: Kinder, auch wenn sie in diesem Fall schon erwachsen sind, die sich um ihre kranken Eltern kümmern und sie pflegen müssen. Pallaoros Film verhandelt zudem große Themen. Er erzählt anhand von Monicas Geschichte über das Verlassenwerden, den Wunsch nach Akzeptanz, Zusammenhalt und Traumata innerhalb einer Familie. Zuschauer*innen erleben Geschwister, die nicht wissen, wie sie nach so langer Zeit ohne Kontakt wirklich miteinander reden sollen. Da ist zum einen der Bruder Paul, der Monica nicht mehr gänzlich vertrauen kann und denkt, dass sie die Pflege der kranken Mutter nicht schafft und bald wieder verschwindet. Ihm gegenüber steht die Schwester, die früher anders war und aufgrund ihrer neuen Identität als Frau aus der Familie ausgestoßen wurde. Eine zentrale Rolle füllt die Mutter Eugenia aus, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Sie ist von ihrer Krankheit gezeichnet, in ihrer Mobilität eingeschränkt und häufig verwirrt. Es scheint zwar noch die sture, harte Frau durch, etwa wenn sie ihre Medikamente verweigert. Eugenia ist allerdings nun die Schwache, die auf die Hilfe anderer angewiesen ist – vor allem auf die Hilfe ihrer Kinder. Es ist eine Rollenumkehr, die sich aufgrund einer schweren Erkrankung vollzogen hat. Paul und Monica müssen sich nun um ihre Mutter kümmern. Am eindringlichsten zeigt sich Eugenias neuer Stand in einer Szene mit ihrer verlorenen Tochter Monica: Schon bald nach Monicas Ankunft irrt Eugenia in der Nacht durch ihr Haus und ruft nach ihrer eigenen Mutter. Das einstige Familienoberhaupt wird nun wieder zum hilflosen Kind. Ihrer Tochter Monica fällt es zu, die Rolle der fürsorglichen Mutter zu übernehmen und sie zu beruhigen. Das ist aufgrund von tiefen Verletzungen in der Vergangenheit nicht einfach für die Protagonistin.

    Schon die Rückkehr nach Cincinnati ist bezeichnend. Nach der Freiheit, der Weite der Großstadt L.A. und der endlosen Straßen quer durch die USA kommt Monica in einer Siedlung mit schönen Häusern, die dicht aneinandergereiht sind, an. Es ist nicht mehr Monicas Welt, obwohl sie hier aufgewachsen ist. Auch die Innenräume lässt Pallaoro oft düster und still präsentieren. Enge breitet sich aus. Nur manchmal dürfen Pauls Kinder durch das Haus jagen und es mit etwas mehr Leben erfüllen. Monica bringt ebenfalls ihre Note ein, hört Musik und erhellt langsam auch das Innere. Den Einsatz von Enge und Freiheit, Innen und Außen überträgt Regisseur Pallaoro auch psychologisch auf seine Protagonistin. Mit Detailaufnahmen und Close-ups lässt er Zuschauer*innen anhand von Gestik und Mimik erahnen, wie es in Monica aussieht.

    „Monica“ ist ein Film, der dank seiner Figuren und deren Beziehung zueinander erzählerische Kraft entfaltet. Blicke, Gesten und Berührungen transportieren oft alles, was nicht gesagt wird. Um dies hinüberzubringen, die Zuschauer*innen zu erreichen, bedarf es exzellenter Darsteller*innen. Andrea Pallaoro hat für seine Monica die wunderbare Trace Lysette gewählt, die die Protagonistin in all ihren Facetten zeigt. In all ihrem Schmerz, in ihrer Entschlossenheit, in ihrer Fürsorge, in ihrer Hoffnung. Im Gespräch auf der Viennale streicht Pallaoro Lysettes Transformation zu Monica heraus: Es sei nicht bloßes Spielen einer Rolle, sondern eine regelrechte Verwandlung in die Protagonistin. Patricia Clarkson glänzt neben ihr als Eugenia. Für die Rolle der kranken Mutter muss sie zu einer alten, gebrechlichen und verletzlichen Frau werden, die auf fremde Hilfe angewiesen ist. Sie tut dies nuanciert, nimmt sich meist zurück, um die Figur der Monica im Mittelpunkt der Geschichte zu unterstützen. Trotzdem wird Eugenia greifbar: Die Hilflosigkeit in Momenten starker Verwirrung, die zähneknirschende Akzeptanz der notwendigen Hilfe etwa bei der Körperpflege, die Ruhe, die sich im Kreis der Familie ausbreitet.

    Regisseur Pallaoro bezeichnet „Monica“ bei der Viennale im Gespräch als Mittelteil einer Trilogie über Frauen, die mit Verlassenwerden umgehen müssen. Er erklärt, dass auch sein vorhergehender Film „Hannah“ mit Charlotte Rampling von einer Protagonistin handelt, die sich mit ähnlichen Themen auseinanderzusetzen hat. „Monica“ ist also in seinen Augen Nachfolgefilm, kann aber durchaus auf eigenen Beinen stehen. Der Film nähert sich psychologisch und figuren-orientiert den großen Fragen rund um Familie, Traumata und Versöhnung an. Er setzt auf große Gefühle, die mit oft kleinen Gesten und wenigen Worten ausgedrückt werden, ohne dabei in allzu rührseliges Melodram abzugleiten. Die Szenen, in denen Clarksons Eugenia ganz in ihrer Krankheit und Hilflosigkeit aufgeht, sind besonders eindringlich und nicht einfach zu konsumieren. Pallaoro verwebt aber immer wieder Momente, die mit leisem Humor auflockern oder Hoffnung andeuten. Etwa, wenn die Enkelkinder herumalbern oder sich rührend um ihre Oma kümmern. Er nähert sich seinen Themen und Figuren mit genauem, ungeschönten Blick. So zeigt er alle Facetten der Protagonistin und gleichzeitig auch ein differenziertes Bild, was Familie alles sein kann.

    „Monica“ ist kein Wohlfühlfilm, auch wenn er immer wieder hoffnungsvolle Momente einstreut. Mit seinen Themen und einer emotionalen Dringlichkeit vermag er es, Zuschauer*innen in die Geschichte(n) hineinzuziehen, Spannung zu entfalten. Vielleicht klingt er sogar nach dem Kinobesuch nach.
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    (Ursula Rathensteiner)
    27.10.2022
    09:53 Uhr
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