Filmkritik zu Thirst Street

Bilder: Samuel Goldwyn Films Fotos: Samuel Goldwyn Films
  • Bewertung

    Geküsster Märchenprinz bleibt Frosch, Prinzessin merkt's nicht

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Wenn einem sonst nicht groß Gründe einfallen, die Viennale zu besuchen: Nathan Silver wäre einer. Schon zum fünften Mal gastiert der junge Filmemacher in Wien mit einem neuen Film & wir hier hätten sonst wohl eher nicht die Möglichkeit, diese wunderbaren Streifen zu sehen. Auch so etwas, das wir vor allem dem heuer viel zu früh verstorbenen Viennale-Direktor Hans Hurch zu verdanken haben. Nathan Silver war ihm immer ein persönliches Anliegen.

    Nun also sein neuer Film. „Thirst Street“ ist die Geschichte der nicht sonderlich auffälligen Flugbegleiterin Gina, die nach dem Selbstmord ihres Lebensgefährten in tiefe Depression verfällt. Sichtlich & dauerhaft aus der Bahn geworfen, schöpft sie bei einem beruflichen Aufenthalt in Paris aus einem – von Arbeitskolleginnen wohlwollend getürkten – Wahrsagerinnenbesuch Hoffnung und stürzt sich in eine leidenschaftliche Nacht mit dem Rotlichbarkeeper Jerome. Dass der bei Tageslicht gar nicht mehr so sexy aussieht & vor allem an nichts Ernstem interessiert ist, übersieht die Verliebte geflissentlich. Für sie ist Jerome der neue Mann ihres Lebens und sie zieht eine Konsequenz nach der anderen, übersiedelt ohne sein Wissen nach Europa, gibt ihren Job auf... die Katastrophe nimmt ihren Lauf, worin sie mündet, sei hier nicht verraten.

    Der Clou bei „Thirst Street“ liegt in der Erzählweise, den Stimmungen, im eigenwilligen Stil. Der Film ist in zartweichstes Licht & Farben getaucht, die Schrifttypen des Vorspanns in Siebziger-Style, dazu eine mütterliche Erzählerinnenstimme aus dem Off, fertig ist die Märchenatmosphäre. Perfekt passt dieses Weichzeichneridyll zum zusammenphantasierten Liebeswahn der noch nicht wiederhergestellten Traumatisierten. Wohldosierte Details am Rande (das zersprungene Display ihres Smartphones), absurd unpassende Musik (Walzerkitsch zu Psychoszenen) und vor allem das beeindruckende Spiel der Hauptdarstellerin (Lindsay Burdge! Applaus!!) erzeugen eine unheimliche Spannung, die süffisant immer mehr in Richtung Supergau gesteigert wird. Herrlich ist auch die Kulisse des schmierigen Strip-Clubs und sein Personal. Nathan Silver gelingt zusätzlich zur beabsichtigten Psycho-Komödie quasi im Vorbeigehen ein angenehmer Gegenentwurf zum „Stadt der Liebe“-Klischee oder Stereotypen à la „Midnight in Paris“.

    Ja und dann war da noch das Publikumsgespräch nach dem Film. Nathan Silver könnte ja durchaus ins Guiness Buch kommen als der Mensch mit dem breitesten Grinsen auf Erden. Aber es blieb ihm vorbehalten darauf hinzuweisen, dass trotz der Freude hier zu sein, 2017 ein „shitty year“ war.

    „Why a shitty year, what do you mean?“

    „Na, because of Hans.“

    Betretenes Schweigen im Saal.

    Stimmt, kurz hatten wir vor lauter Filmglück vergessen, wem wir einen Gutteil dieser und so viele Viennalen davor zu verdanken haben. Und auch, dass uns hier in Wien so Wunderwuzzis wie Nathan Silver beehren. Hoffentlich auch in Zukunft.
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    (Michael Gegenhuber)
    03.11.2017
    23:19 Uhr