2 Einträge
2 Bewertungen
75% Bewertung
  • Bewertung

    Tiefgehende Liebe oder gefährliche Obsession?

    Wie so oft im Leben gibt es Beziehungen, in denen der eine mehr will als der andere. Genau diesem Thema widmet sich der amerikanische Regisseur Nathan Silver in seinem Film „Thirst Street“, der in den Clubs, Appartements und Straßen von Paris spielt und von einer von Liebe besessen Frau erzählt, die durch ihren Wahn die Kontrolle über ihr Leben verliert.

    Nach einem traumatischen Erlebnis in ihrer Heimat im Bundestaat New York geht Flugbegleiterin Gina (Lindsay Burdge) ihrer Arbeit nach, als sei nichts gewesen. Als sie während eines Aufenthalts in der französischen Hauptstadt zusammen mit ihren Arbeitskolleginnen eine Wahrsagerin aufsucht, prophezeit ihr diese eine neue Liebe, die sie anhand seiner Augen erkennen würde. In einer zwielichtigen Tanzbar in den Straßen von Paris steht er plötzlich vor ihr: Ein charmanter, von einer Binderhautentzündung befallener Barkeeper namens Jérôme. Nach einer leidenschaftlichen gemeinsamen Nacht entwickelt die Amerikanerin Gina große Gefühle für den possierlichen Franzosen, die seinerseits allerdings nie erwidert werden. Vom trübenden Blick der Liebe geleitet, zieht sie kurzerhand nach Paris und lässt ihr Leben in New York hinter sich. Sie mietet sich eine Wohnung mit Sicht auf Jérômes Appartement und folgt ihm auf Schritt und Tritt. Nicht nur ist Gina extrem anhänglich und besitzergreifend, sie fängt zudem an ihren Geliebten zu stalken und auszuspionieren. Als Jérômes Ex-Freundin Clémence (Esther Garrel) dann wieder in sein Leben tritt, verliert Gina jegliche Kontrolle und in ihren Gedanken verschmelzen Realität und Illusion nun untrennbar miteinander.

    Die Geschichte lässt tief in die Gefühlswelten ihrer Figuren blicken, was besonders durch die Voice-Over-Erzählerin, welche von Anjelica Huston poetisch anmutend eingesprochen wurde, begünstigt wird. Die Zuschauerschaft weiß oft mehr über den Hintergrund und die Emotionen der von übertriebenen Liebe besessenen Protagonistin Gina, als sie selbst geschweige denn ihr Geliebter beziehungsweise „Opfer“ des Szenarios. Dadurch kann man Ginas verrücktes Verhalten, auch wenn man es für falsch und ungesund hält, durchaus verstehen und urteilt milder über ihre verlogenen, aufmerksamkeitserregenden Aktionen, die ihr mehr Nähe zu ihrem vermeintlichen Traummann verschaffen.

    Auch wenn die Story an sich ganz nett ist, ist sie trotzdem nicht sonderlich spannend oder innovativ gestaltet. Aber diese Schwäche wird mit der Visualisierung der Images wieder kompensiert. Die Tanz- und Erotikszenen sind allesamt sehr sinnlich inszeniert und legen einen besonderen Fokus auf extrem schöne Frauenkörper. Zudem erstrahlt der Film in satten, fast grellen Farben, die an frühe Musicalfilme, für die die Protagonistin Gina eine Schwäche hat, erinnern. Der Himmel ist so blau, dass er künstlich wirkt. Fern ab von der Realität, genauso wie Ginas Gedankengut. Auch innerhalb der Räume, besonders in Abend- oder Nachtszenen tauchen die Figuren in eine in Grün- und Blautöne getauchte Welt ein. Dieser oft verwendete Komplementärkontrast steht in vielen Szenen in Verbindungen mit dem inhaltliche Geschehen und wirkt daher (meistens) nicht willkürlich platziert. Wenn man zum Beispiel in einer Szene merkt, wie Jérôme sich von der übereifrigen Gina emotional distanzieren möchte erstrahlt sein Gesicht im grünen Licht, während die liebestrunkene Gina (im selben Zimmer wohlgemerkt) in einem grellen Rot, á la Technicolor, erleuchtet. Diese künstlichen und traumartigen Sequenzen durchziehen den gesamten Film und spiegeln auch das Innenleben Ginas wider, die selbst zwischen ihren Illusionen, ihrer Realität und der echten Realität schwebt.
    littlesusanshine_c51e293590.jpg
    04.11.2017
    13:04 Uhr
  • Bewertung

    Geküsster Märchenprinz bleibt Frosch, Prinzessin merkt's nicht

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Wenn einem sonst nicht groß Gründe einfallen, die Viennale zu besuchen: Nathan Silver wäre einer. Schon zum fünften Mal gastiert der junge Filmemacher in Wien mit einem neuen Film & wir hier hätten sonst wohl eher nicht die Möglichkeit, diese wunderbaren Streifen zu sehen. Auch so etwas, das wir vor allem dem heuer viel zu früh verstorbenen Viennale-Direktor Hans Hurch zu verdanken haben. Nathan Silver war ihm immer ein persönliches Anliegen.

    Nun also sein neuer Film. „Thirst Street“ ist die Geschichte der nicht sonderlich auffälligen Flugbegleiterin Gina, die nach dem Selbstmord ihres Lebensgefährten in tiefe Depression verfällt. Sichtlich & dauerhaft aus der Bahn geworfen, schöpft sie bei einem beruflichen Aufenthalt in Paris aus einem – von Arbeitskolleginnen wohlwollend getürkten – Wahrsagerinnenbesuch Hoffnung und stürzt sich in eine leidenschaftliche Nacht mit dem Rotlichbarkeeper Jerome. Dass der bei Tageslicht gar nicht mehr so sexy aussieht & vor allem an nichts Ernstem interessiert ist, übersieht die Verliebte geflissentlich. Für sie ist Jerome der neue Mann ihres Lebens und sie zieht eine Konsequenz nach der anderen, übersiedelt ohne sein Wissen nach Europa, gibt ihren Job auf... die Katastrophe nimmt ihren Lauf, worin sie mündet, sei hier nicht verraten.

    Der Clou bei „Thirst Street“ liegt in der Erzählweise, den Stimmungen, im eigenwilligen Stil. Der Film ist in zartweichstes Licht & Farben getaucht, die Schrifttypen des Vorspanns in Siebziger-Style, dazu eine mütterliche Erzählerinnenstimme aus dem Off, fertig ist die Märchenatmosphäre. Perfekt passt dieses Weichzeichneridyll zum zusammenphantasierten Liebeswahn der noch nicht wiederhergestellten Traumatisierten. Wohldosierte Details am Rande (das zersprungene Display ihres Smartphones), absurd unpassende Musik (Walzerkitsch zu Psychoszenen) und vor allem das beeindruckende Spiel der Hauptdarstellerin (Lindsay Burdge! Applaus!!) erzeugen eine unheimliche Spannung, die süffisant immer mehr in Richtung Supergau gesteigert wird. Herrlich ist auch die Kulisse des schmierigen Strip-Clubs und sein Personal. Nathan Silver gelingt zusätzlich zur beabsichtigten Psycho-Komödie quasi im Vorbeigehen ein angenehmer Gegenentwurf zum „Stadt der Liebe“-Klischee oder Stereotypen à la „Midnight in Paris“.

    Ja und dann war da noch das Publikumsgespräch nach dem Film. Nathan Silver könnte ja durchaus ins Guiness Buch kommen als der Mensch mit dem breitesten Grinsen auf Erden. Aber es blieb ihm vorbehalten darauf hinzuweisen, dass trotz der Freude hier zu sein, 2017 ein „shitty year“ war.

    „Why a shitty year, what do you mean?“

    „Na, because of Hans.“

    Betretenes Schweigen im Saal.

    Stimmt, kurz hatten wir vor lauter Filmglück vergessen, wem wir einen Gutteil dieser und so viele Viennalen davor zu verdanken haben. Und auch, dass uns hier in Wien so Wunderwuzzis wie Nathan Silver beehren. Hoffentlich auch in Zukunft.
    deutobald_3cfc7ac6b3.jpg
    03.11.2017
    23:19 Uhr