Heidi@Home
Heidi@Home: Ripley

Heidi@Home: Ripley

Eine irritierende bis verstörende Neu-Adaption oder ein genial-radikaler Perspektivenwechsel?
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von (Heidi@Home)
Auf Netflix wurde dieser Tage die neue Miniserie „Ripley“ veröffentlicht. Andrew Scott spielt darin die aus den Patricia-Highsmith-Romanen und mehreren filmischen Adaptionen bekannte Figur des Thomas Ripley. Für Regie und Drehbuch ist Steven Zaillian verantwortlich, der für das adaptierte Drehbuch zu „Schindlers Liste“ bereits einen Oscar erhalten hat. Zaillians Interpretation hat meines Erachtens eine Reihe von Problemen.

Das erste davon: Die Prämisse geht nicht auf. Wir erinnern uns: In „Der talentierte Mr. Ripley“ geht es darum, dass der reiche New Yorker Werftbesitzer Herbert Greenleaf Tom Ripley, den er für einen früheren Schulkollegen seines Sohnes Richard (Dickie) hält, dafür engagiert, eben diesen Dickie in die USA zurückzubringen. Der Student ist nach Italien ausgewandert, um sich selbst zu finden und dem süßen Leben zu frönen. Greenleaf will ihn aber als seinen Nachfolger in der Werft aufbauen. Das Essentielle ist also, dass es sich bei Dickie und Tom um sehr junge Männer, Anfang bis Mitte 20 handelt. Ripley wird aber, wie gesagt, von Andrew Scott verkörpert, der bereits auf die 50 zugeht und auch Johnny Flynn, der den Dickie spielt, ist über 40 Jahre alt. Die Ausgangslage wird ad absurdum geführt, wenn die Darsteller um Jahrzehnte älter sind.

Ripley
Andrew Scott in der Serie „Ripley“ (Netflix)


Das zweite Problem: Die Besetzung und Figurenzeichnung. Praktisch jeder der zentralen Protagonisten ist gegen den eigentlichen Charakter seiner Figur besetzt. Ja, auch Andrew Scott. Scott ist ein wunderbarer und charismatischer Darsteller, die meisten werden ihn als Priester aus „Fleabag“ kennen. Das Problem hier ist nur: Tom Ripley soll eben nicht die faszinierendste Figur der Geschichte sein. Ripley bewundert Dickie so sehr, weil dieser eine derartige Anziehungskraft besitzt, weil er alles verkörpert, was er, Tom, nicht ist, dass er beschließt quasi Dickie zu werden. In der Verfilmung von Anthony Minghella aus dem Jahr 1999 hat Jude Law diesen Dickie gespielt; Law, der damals ein Superstar war, etwas später der „Sexiest Man Alive“ wurde und die Klatschspalten gefüllt hat. Selbst wenn man Law unsympathisch findet, kann man nachvollziehen, wieso andere von ihm begeistert sind. Johnny Flynn dagegen ist ein durchschnittlicher Typ von nebenan, der absolut keine Strahlkraft besitzt.

Ripley
Johnny Flynn in der Serie „Ripley“ (Netflix)


Marge (Dakota Fanning), Dickies Freundin, wird in der Netflix-Serie ebenfalls konträr zur Vorlage gezeichnet. Fanning ist herb und unzugänglich, ursprünglich war sie es aber, die Tom herzlich aufgenommen hat und für ihn ein gutes Wort bei Dickie eingelegt hat. Hier ist sie vom ersten Augenblick an argwöhnisch, was Tom betrifft, sie vermittelt nicht die Wärme und Herzlichkeit, die Marge eigentlich ausmacht. Und warum Freddie Miles, ein enger Freund von Dickie, ein flamboyanter Womanizer, hier von einer non-binären Person (Eliot Sumner) dargestellt wird, erschließt sich ebenfalls absolut nicht.

Ripley
Dakota Fanning in der Serie „Ripley“ (Netflix)


Womit wir zum dritten Problem kommen: Die Chemie zwischen den Darstellern. Zwischen Dickie und Tom Ripley herrschte ursprünglich eine gewisse (wenn auch unterschwellige) erotische Spannung. Diese fehlt nicht nur in der Neuauflage nein, Dickie weist Tom so deutlich zurück, dass es sogar fast ein bisschen homophob wirkt. Warum nun Freddie Miles als einer seiner engsten Freunde in der Adaption gerade von einer non-binären Person (der/die sehr feminin wirkt) dargestellt wird, ergibt unter diesen Umständen noch weniger Sinn. Auch was Marge und Dickie verbindet, fühlt man hier absolut nicht.

Das vierte Problem: Der schwarz/weiß Look. Warum hat sich Steve Zaillian dazu entschlossen, seine Serie gänzlich ohne Farben zu drehen? Ein heimlicher Darsteller der Romanvorlage war Italien, das ausschweifende, dekadente, lustbetonte, manchmal fast Fellini-eske Italien, mit blauem Himmel und Meer, mit hervorragenden Speisen und Getränken, malerischen Landschaften, im wahrsten Sinne des Wortes bunter Lebenslust. In schwarz/weiß gedreht bekommt Italien hier einen gänzlich anderen Charakter, düster, fast bedrohlich und distanziert-abschreckend. Es wird daher auch nicht klar, wieso Tom Ripley sich in dieses Land so verliebt, dass er nicht mehr in die USA zurückkehren möchte.



Was die Serie hingegen sehr gut macht: die italienischen Charaktere (Ripleys Vermieterin, seine Angestellten, den Kommissar) lebensecht zu zeichnen. Sie sind hier keine Karikaturen, sondern allesamt sehr differenziert dargestellte Menschen, die untereinander auch nur Italienisch sprechen. Hier gehen sich sogar ein paar sehr amüsante Szenen aus, die die italienische Lebensart und das Arbeitsethos liebevoll aufs Korn nehmen.

Aber warum, so fragt man sich, geht Zaillian in dieser Beziehung (quasi bei den Randfiguren) so sensibel für Stimmungen und Protagonisten vor und agiert im großen Kontext so komplett gegen den Ton der Vorlage? Ich habe mir gedacht, man könnte noch einmal um die Ecke denken, damit das Sinn macht und ich weiß nicht, ob es von Zaillian intendiert ist, aber es wäre eine Erklärung: Zaillian schildert die gesamte Serie nicht aus der Perspektive eines quasi allwissenden Erzählers, sondern aus der von Ripley selbst. Und für Ripley den Soziopathen ist Italien vielleicht gar nicht so bunt, sondern so wie sein ganzes Leben nur schwarz/weiß. Marge empfindet er eventuell von Anfang an als eine Bedrohung, Freddie als starke (erotische) Konkurrenz, und bei Dickie fokussiert er auf dessen Schwächen, um sich selbst besser zu fühlen? Ich gebe zu, das ist eine waghalsige Konstruktion, aber eine, die für mich noch einigermaßen stimmig wäre.

Allerdings muss man auch unter Berücksichtigung dieses Blickwinkels sagen, dass die Serie recht mühselig in die Gänge kommt und erst ab der Folge 5 langsam einen gewissen narrativen Sog entwickelt. Das mag auch darin begründet liegen, dass die Romanvorlage nicht extrem umfangreich ist, die Laufzeit der Serie aber stolze 445 Minuten beträgt.

„Ripley“ läuft seit 4. April in acht Teilen auf Netflix.