Berlinale 2024, Interview
„Cuckoo“: Regisseur Tilman Singer im Interview

„Cuckoo“: Regisseur Tilman Singer im Interview

Der deutsche Genre-Regisseur Tilman Singer hat am Freitag im Berlinale-Special seinen zweiten Film „Cuckoo“ vorgestellt. Im Interview sprachen wir mit ihm über Hollywood-Budgets, Gewaltexzesse und seine Liebe zum Horror.
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von (chrosTV )
Als der gebürtige Leipziger Tilman Singer 2018 seinen ersten Spielfilm als Abschlussarbeit für die Kunstuni fertigstellte, hätte er sich niemals gedacht, wenige Jahre später mit Hollywood-Talenten zu drehen. Doch Wunder geschehen immer wieder. Seinem gerade soundtechnisch betörenden Horrorexperiment „Luz“ wurde in der Genre-Welt viel Aufmerksamkeit geschenkt. Für seine zweite Regiearbeit „Cuckoo“ hat sich Singer nun mit einem vorrangig englischsprachigen Cast zusammengetan. Angeführt wird dieser von „Euphoria“-Star Hunter Schafer, ergänzt durch nicht minder szenebekannte Namen wie Dan Stevens („The Guest“) und Jessica Henwick („Matrix Ressurections“).

Cuckoo Bild aus dem Film „Cuckoo“ (Weltkino, Neon)

Erneut hat er einen Film geschaffen, der mit verstörenden, surrealen Bildern unkontrolliert durchs Genre-Kabinett irrt. Im Rahmen der Weltpremiere im „Berlinale Special“ haben wir den Regisseur zum Interview getroffen.

Es war ja erst Valentinstag: ist „Cuckoo“ ein passender Film für ein erstes Date?

Ja.

Nämlich warum?

Weil man damit ein gutes, aufregendes Date haben kann. Obwohl es ein Horrorfilm ist, lässt er einen nicht mit dem größtmöglichen Schrecken zurück, sondern irgendwie mit einer gewissen Hoffnung und Liebe. Keiner romantischen Liebe, aber einem liebevollen Gefühl.

Wie war es für dich, wenige Jahre nach deinem Debütfilm „Luz“, der ja eigentlich als Uniabschlussfilm entstanden war, jetzt einen Film mit deutlich höherem Budget zu drehen? Beziehungsweise auf Unterstützung aus Hollywood bauen zu können?

Es ist unheimlich, wenn man auf einmal verantwortlich ist für so viel Geld. Aber es gab einfach wirklich viele Gemeinsamkeiten. Wir haben mit derselben Disziplin gearbeitet, ich hatte wieder denselben Kameramann, Szenenbildner, Composer und Sound Designer von damals. Ja, es war alles größer, aber Filmdrehen ist Filmdrehen. Die Zeit ist immer knapp, man verausgabt sich total, aber trotzdem ist es die schönste Sache, die ich mir vorstellen kann, zu tun.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Bayern zum Ort des Schreckens zu machen?

Ich glaube, weil international, vor allem in den Staaten, alle denken, dass ganz Deutschland Bayern ist. Überall sind Berge, alle haben Lederhosen. Und weil ich ja so gerne mit dem deutschen Image spiele, in Sachen Märchen auch, hat das einfach gepasst.

Hast du die Figur der Gretchen explizit Hunter auf den Leib geschrieben?

Ne, ich hab’s erst geschrieben, Aber ich habe dann eben Hunter wie so eine Erscheinung gefunden, die einfach perfekt war für die Rolle. Es kommt sogar manchmal vor, dass ich nochmal Namen von Charakteren hinterfrage, wenn ich die spielende Person sehe. Aber im Falle von Hunter passt der Name Gretchen wunderbar mit ihrer Erscheinung zusammen.

Aus welcher Ecke kommt das, was du uns hier erzählst? Hast du dich von Lovecraft inspirieren lassen?

Das ist tatsächlich kein schlechter Vergleich. Also so was so kosmischer Horror angeht. Die Unergründlichkeit, warum etwas ist, warum etwas Schlimmes passiert. Ja, also in der Geschichte geht es ja auch um Familien und was für Gewalt sich innerhalb einer Familie oder vielleicht einer symbolischen größeren Familie angetan werden kann.

Hast du dir in der Darstellung der teils sehr ausufernden Gewaltszenen Grenzen gesetzt?

Es ist immer schwierig, Gewalt zu zeigen, weil die macht, dass die Zuschauer vielleicht auch von der Leinwand wegrücken. Also wenn es zu graphisch wird, dann gehen, Schutzmechanismen bei uns an. Das kann auch Spaß machen, in irgendwelchen Splatterfilmen, aber wenn du möchtest, dass eine Szene ernst genommen wird, und eine Schwere hat, muss man damit vorsichtig sein.

In dieser Melange aus unterschiedlichen Genreinflüssen steckt zwischen Momenten der Angst und Intensität ja auch eine jede Menge dunkle Comedy. Warum glaubst du ergänzen sich Humor und Horror so gut?

Es hat wohl damit zu tun, dass wir Menschen seltsame Geschöpfe sind. Wir fügen uns gerne selbst Leid zu. Wir gruseln uns gerne, weil wir gerne austesten, wie viel wir abkönnen. Und das freut uns, das begeistert uns, das amüsiert uns. Nicht zuletzt stehen sich die Genres aber auch nahe, weil Horrorfilme im Grunde ja immer auch was Albernes an sich haben. Ich meine das mit Liebe.

Stichwort Genre: Das Eigenartige ist ja, dass Horror eigentlich in Deutschland seinen Ursprung trägt. Heute werden allerdings in Deutschland kaum mehr Filme dieser Art produziert, die begabten Leute wandern in die USA aus. Wusstest du, dass du weggehen müsstest, um im Genre erfolgreich zu sein?

Als ich an der Kunsthochschule „Luz“ gedreht habe, hätte ich nie gedacht, dass je ein Mensch den Film sehen würde. Und tatsächlich hatte er auch viel größeren Erfolg in den Staaten, wo er sogar ins Kino kam. Es ist schwierig, ja, aber ich glaube es ändert sich aktuell vieles. Ich würde gerne auf der ganzen Welt Filme drehen.

Und wie nimmst du allgemein den aktuellen Zustand des Genre-Kinos wahr? Stören dich moderne Kunstbegriffe wie „Elevated Horror“, welche die reiche Geschichte des Genres entwerten?

Mich stört der Begriff „Elevated Horror“, weil der immer ausdrückt, dass die Filme, die vorher nicht „elevated“ waren, eben keine guten Filme sind, was nicht stimmt. Aber es sind wahnsinnig gute Filme in jüngster Zeit rausgekommen, die mit diesem Label geworben haben. Und ich bin sehr dankbar für Firmen, wie Neon oder A24, die uns so gute Filme liefern, die uns so berühren. Aber mich berührt halt auch „A Nightmare on Elm Street“.

Vielen Dank für das Gespräch!