Filmkritik zu Cuckoo

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  • Bewertung

    Ein Alptraum in den Alpen

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Was zum Kuckuck hat Tilman Singer hier denn aufgetischt? Nach dem experimentellen Horrortrip „Luz“ bespielt der gebürtige Deutsche auch in seiner zweiten Regiearbeit gekonnt die Genrefilm-Klaviatur. Nur noch eine Spur blutrünstiger, noch eine Spur lustiger, ja einfach noch eine Spur irrer geht es in „Cuckoo“ umher. Vor allem aber merkt man: das Budget ist seit dem letzten Mal immens angestiegen. Mit Hunter Schafer, bekannt für ihre Darstellung der transsexuellen Jules im preisgekrönten HBO-Teeniemelodram „Euphoria“, hat sich Singer für die Hauptrolle ein aufstrebendes Hollywood-Starlet geangelt. Schafer verkörpert Gretchen, eine 17-jährige Teenagerin, die noch mit den Nachwehen einer Tragödie zu kämpfen hat. Als sie mit Papa Luis (Marton Csókás), dessen Partnerin Beth (Jessica Henwick) und der gehörlosen Stiefschwester Alma (Mila Lieu) widerwillig in einem Ferienressort in den Bayerischen Alpen eincheckt, gerät ihr Leben außer Rand und Band. Sobald der großartige Dan Stevens als schrullig-psychotischer Herr König ins Bild tritt – teilweise mit betörender, der Oompa-Loompa-Pfeife Willy Wonkas nicht unähnlicher Flöte in der Hand – nimmt Gretchens Alltag stetig absonderlichere Züge an. Für die Protagonistin beginnt ein Höllentrip, der seinesgleichen sucht – irgendwo zwischen Hotellogen, Krankenhauszimmern und nächtlichen Fahrradausflügen.

    Singer entzündet ein Feuerwerk aus Ideen, serviert eine üppige Melange aus verschiedenen Genre-Einflüssen: von Dario Argento über David Lynch hin zu Stanley Kubrick. Ein wenig Horror der surrealen Note hier, ein bisschen kathartisches Psychodrama da, stets durchzogen von einer bitterbösen Komik, die das Kuddelmuddel halbwegs organisch zusammenstöpselt. Mangelnde inhaltliche Kohärenz weiß man mittels raffinierter Regiegriffe elegant zu überspielen. Den Alpenhorror umhüllt ein Schleier des Unbehagens, der durch clevere Montagen und ein markerschütterndes Sounddesign gut aufrecht erhalten wird. Je weiter der Film seine Verwirrspielchen jedoch vorantreibt, umso anstrengender wird das Seherlebnis, umso mehr verliert die sonst fein aufgebaute Suspense an Effekt. Jeder weitere Twist und Turn ist ab einem Punkt einfach zu viel – spannende Symbolbilder hin oder her. So unterhaltsam und faszinierend das alles als Stilexperiment auch sein mag, nicht alles, das glänzt, ist Gold. „Cuckoo“ gleicht einem verführerischen Zaubertrick, dessen hypnotische Wirkung ziemlich schnell wieder verpufft. Naja, vielleicht sollte man das Gesehene auch nicht zu sehr zerdenken: amüsant und originell bleibt dieser wilde Ritt durch die Alpen allemal. Der große Genrewurf bleibt aber aus – weniger wäre in diesem Fall sicherlich mehr gewesen.
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    (Christian Pogatetz)
    17.02.2024
    09:28 Uhr