Vintage Views
Vintage Views: Network

Vintage Views: Network

Schau zu, wie die Welt den Verstand verliert
Es war einer der großen Hits von 1976 – knapp bevor die aufkommenden Blockbuster-Filme Hollywood grundlegend verändern sollten. „Network“ ist eine Satire auf das Fernsehen im Speziellen und eine Kritik an der verrohenden modernen Gesellschaft im Allgemeinen.

Wovon die Geschichte handelt, stellt ein Erzähler knapp, ernsthaft und mit Nachdruck gleich zu Beginn des Films fest: Howard Beale (Peter Finch), Nachrichtensprecher seit Jahrzehnten, steht vor den Scherben seines Lebens. Vieles von dem, was in den ersten Minuten des Films zu sehen ist, scheint einer Reportage entsprungen zu sein. Der routinierte Arbeitsalltag im Fernsehsender UBS gerät dann gehörig aus den Fugen, als Beale aus seiner Entlassung eine ungewöhnliche Konsequenz zieht. Während der Abendnachrichten kündigt er seinen Selbstmord für die nächste Woche, ebenfalls live auf Sendung, an. Zur Überraschung des Managements fährt er damit Rekordquoten ein!

Was anfangs eine persönliche Katastrophe war, entwickelt sich nun zu einem zweischneidigen Schwert für ein Ensemble an Figuren. Beales Vorgesetzter und alter Freund Max Schumacher (William Holden) verliert im Zuge von Konzernintrigen seinen Job und schlittert in eine Midlife-Crisis, die ihren Ausdruck in einer Affäre mit der jungen Programmdirektorin Diana Christensen (Faye Dunaway) findet. Sie macht Beale zum Superstar seiner eigenen Sendung, in der er mit unzensierten Predigten über den beklagenswerten Zustand von Demokratie und Menschlichkeit den Zuschauern aus der Seele spricht.
Dabei rutscht er zusehends in den Wahnsinn ab, während der ambitionierte Senderchef Hackett (Robert Duvall) den Erfolg des Konzerns, in einem riskanten Spiel um Einfluss bei den Investoren ganz auf ihn setzt.

„Network“ spannt den Bogen von glaubwürdigen und intimen Charakter-Momenten bis hin zu absurd überzeichneten Ereignissen. Wer kann sich etwa die Hindernisse vorstellen, wenn eine Terroristen-Gruppe ihre eigene Action-Serie bekommt, produziert von der Kommunistischen Partei?
Es ist ein tragischer und witziger Film, voll smarter Dialoge und leidenschaftlich vorgetragener Tiraden, für die er wahrscheinlich mehr als alles andere berühmt ist.
Manchmal spürt man den Klang einer Stimme voraus, die der von Aaron Sorkins Figuren unserer Zeit nicht unähnlich ist. Der Vergleich ist nicht unpassend, denn Sorkin verwies in seiner Dankesrede selbst kurz auf „Network“, als er den Academy Award für das „The Social Network“-Skript entgegen nahm.

Niedergeschlagen hat sich der Erfolg von „Network“ in vier Oscars, davon einer für das Drehbuch von Paddy Chayefsky und gleich drei in den begehrten Darsteller-Kategorien – ein Rekord, den sich der Film nur mit „Endstation Sehnsucht“ (1951) teilt.

Chayefsky konnte auch auf eine lange Karriere als Autor im TV zurückblicken und rechnete in seinem Drehbuch mit den Sendern ab. Es ist ein Stimmungsbild der 70er, als das Fernsehen der unumstrittene König der Medien war.
Da ist es überraschend, wir sehr der Film zu uns im 21. Jahrhundert zu sprechen scheint. Er nimmt nicht nur Reality TV und die ständig sinkenden Hemmschwellen eines Publikums von Konsumenten vorweg, sondern spiegelt auch eine Zeit der Unruhe, von politischen und wirtschaftlichen Krisen und seelischen Konflikten wieder. - Dieser Film hat etwas zu sagen und das tut er laut und eindrucksvoll.
Wir kennen diese gewisse Endzeitstimmung des Films, wenn Tausende von Menschen gleichzeitig das inoffizielle Motto des Films aus dem Fenster rufen: „I'm as mad as hell and I'm not going to take this anymore!“
Senad Halilbasic & Sebastian Rieger