Filmkritik zu Chacun son cinéma

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  • Bewertung

    Chacun son cinéma

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2007
    Wie feiert das größte Filmfestival der Welt seinen eigenen 60. Geburtstag? Die Antwort ist sehr einfach – man beauftragt 35 der besten Regisseure der Welt und gibt Ihnen die Vorgabe, dass es „was mit Kino“ zu tun haben sollte bzw. maximal 3 Minuten lang sein darf. Somit dauert der Film 105 Minuten und begeistert von Anfang an. Es ist großartig zu sehen, wie das Thema Kino in allen Teilen der Welt wahrgenommen wird, welche persönlichen Erinnerungen die Filmemacher mit dem Medium verbinden und mit welcher Begeisterung sie die schwierige Aufgabe umgesetzt haben.

    Es ist unmöglich jeden einzelnen Teil zu bewerten, aber im Gesamtbild harmonieren diese Kunststücke wunderbar miteinander. Mir persönlich haben die Beiträge von Roman Polanski, Nanni Moretti, Walter Salles, Lars von Trier, Takeshi Kitano und Andrei Konchalovsky besonders gut gefallen, weil sie auch sehr amüsant geworden sind. Polanski erzählt vom „erotischen Kino“ und besticht durch eine sensationelle Schlußpointe, die ich hier nicht verrate. Moretti, denn ich übrigens später zufällig in einem Zeitungsshop gesehen habe und ihm 2 Mal die Hand geschüttelt habe, berichtet von familiären Erfahrungen, Walter Salles lässt 2 Brasilianer die Vorstellungen vom Cannes-Festival „rappen“, Takeshi Kitano verlangt irgendwo in Asien eine „Farmer-Kinokarte“ und Andrei Konchalovsky präsentiert Fellinis „8 ½“ in einem russischen Kino, während die Ticketverkäuferin ihren Tränen freien Lauf lässt übt ein Pärchen erotische Abenteuer aus!

    Theo Angelopoulos, Olivier Assayas, Bille August, Jane Camipion, Youssef Chahine, Chen Kaige, Michael Cimino, Joel & Ethan Coen, David Cronenberg, Jean-Pierre & Luc Dardenne, Manoel De Oliveira, Raymond Depardon, Atom Egoyan, Amos Gitai, Hou Hsiao Hsien, Alejandro Ganzález Inárritu, Aki Kaurismäki, Abbas Kiarostami, Takeshi Kitano, Andrei Konchalovsky, Claude Lelouch, Ken Loach, Nanni Moretti, Roman Polanski, Raul Ruiz, Walter Salles, Elia Suleiman, Tsai Ming Liang, Gus Van Sant, Lars Von Trier, Wim Wenders, Wong Kar Wai und Zhang Yimou erschienen auch zur Pressekonferenz und stellten sich den unkritischen Fragen, so dass Roman Polanski sich furchtbar aufregte und die Veranstaltung frühzeitig verließ.

    Doch vorher artikulierte er noch seine Enttäuschung, indem er sagte, dass die Journalisten von heute nur noch ihre Computer im Kopf haben und das Niveau für ihn einfach zu niedrig sei, so dass er sich wichtigeren Dingen widme. Zuvor berichtete er jedoch, was für Kurzfilme notwendig sei, nämlich ein Anfang und ein Ende. Ein Kurzfilm müsse eine Idee, einen Witz oder eine Philosophie ausdrücken! Obwohl man nur 3 Minuten dreht, braucht man fast ein gleich großes Team wie für einen Spielfilm. Bei seinem Part wollte er aber nur unterhalten und keine besondere Message transportieren. Er weiß schon, die Journalisten in Cannes immer etwas Anspruchsvolles erwarten, aber in diesem Fall unterstrich er, dass er nur unterhalten wollte.

    Sehr kritisch und überhaupt nicht optimistisch war David Cronenberg (denn ich vor kurzem in ALIAS in einer Gastrolle gesehen habe) sowohl in seinem Kurzfilm (Letzter Jude im letzten Kino, der Selbstmord begehen möchte) als auch im Interview. Das gegenwärtige Kino wird schon bald verschwinden und die Zuschauer werden die Filme über Handys konsumieren. Für Walter Salles ist beim Kino der Gemeinschaftsgedanke der Grund für die Stärke des Kinofilms. Takeshi Kitano verbindet mit seinem ersten Movie unangenehme Erfahrungen, weil er und sein Bruder nach dem Besuch eines italienischen Films von Punks ausgeraubt wurden, sodass sie danach einen langen Nachhauseweg hatte. Für Alejandro Ganzález Inárritu ist das Kino „mehr“ und er betont, wie schwierig ein Kurzfilm zu realisieren sei. In diesem Punkt wird Ináritu von Andrei Konchalovsky durch ein Zitat von Puschkin unterstützt: „Entschuldige, dass ich keine Zeit hatte einen kürzer Brief zu schreiben!“

    Bevor die Filmemacher jedoch die Flucht vor den Journalisten ergriffen, gratulierte ich Ethan Coen zu „Millers Crossing“, einem meiner Lieblingsfilme aus den früher 90er Jahren! Er bedankte sich zwar höflich, war aber offensichtlich genervt. Man sieht hier in Cannes recht schön, dass Journalisten auch nur Filmfreaks sind!
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    (Leander Caine)
    20.05.2007
    23:57 Uhr