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  • Bewertung

    Totgeglaubte leben länger

    Exklusiv für Uncut
    Mit Fortsetzungen ist das so eine Sache: manchmal erscheinen sie erzählerisch sinnvoll, manchmal als forcierter Versuch, das eigene Erbe mit Sequels totzumelken. Vor allem dann ist Skepsis angebracht, wenn ein Kultfilm Jahrzehnte später aus der Mottenkiste geholt und mit selber Besetzung fortgeführt werden soll. Dieses Experiment hat der Däne Ole Bornedal nun ausgerechnet mit dem Film gewagt, der ihn in den 90er-Jahren zum Hoffnungsträger am skandinavischen Genre-Himmel erheben ließ. In „Nightwatch“ erzählte er von einem jungen Studenten, dessen Job als Nachtwächter in der Gerichtsmedizin zur ungeahnten Todesfalle werden würde. Für den damals blutjungen Nikolaj Coster-Waldau, durch die Figur des Jamie Lannister mit „Game of Thrones“ später zu Mainstream-Erfolg gelangt, war es die erste große Hauptrolle. Der Schocker entpuppte sich in der Szene als Achtungserfolg - nicht zuletzt wegen dem radikalen, allerdings nicht plumpen Bruch mit tabuisierten Themen. Selbst Leichenschändung und Nekrophilie spielten eine Rolle. Von diesem frischen Wind im europäischen Extremkino wollte man auch international ein Stück abbekommen, 1996 wurde mit Ewan McGregor in der Hauptrolle ein englischsprachiges Remake gedreht. Auch dort übernahm Bornedal die Regie, mit der kommerzialisierten Hollywood-Alternative war er allerdings nicht ganz zufrieden. Besonders gruselig ist da aus heutiger Sicht der Blick auf das Produktionsteam: Bob und Harvey Weinstein.

    Der Terror geht weiter

    Grauenerregenden Erzählstoffen ist Regisseur Bornedal auch in späterer Folge treu geblieben, den Versprechen seines vielgelobten Debüts konnte er jedoch nie wieder gerecht werden. Was also tun, wenn die Karriere im Schatten eines großen Films steht? Na, den eigenen Anfängen nochmal einen Besuch abstatten! „Nightwatch – Demons Are Forever“ ist nicht nur für seinen Regisseur der Versuch, seiner Vergangenheit nachzujagen, auch Protagonist Martin (Coster-Waldau) muss endlich den Geistern früherer Tage ins Auge sehen. 30 Jahre später nagt das Trauma, ausgelöst durch die perfide Mordserie des ehemaligen Polizeiinspektors Wörmer (Ulf Pilgaard), weiterhin an ihm. Ehefrau Kalinka (Sofie Gråbø) hat die Nachwehen des Vorfalls schwer ertragen und sich das Leben genommen. Die Traumata haben sich mittlerweile auf die nächste Generation übertragen. Emma, Tochter von Martin und Kalinka, glaubt die Dämonen der Familie nur besiegen zu können, in dem sie sich ihnen stellt. Ganz unmittelbar. Die junge Medizinstudentin nimmt denselben Job an, der für den Papa einst zum Ausgangspunkt einer nie enden wollenden Terrormaschine wurde. Doch das ist längst nicht alles: als Emma erfährt, dass Wörmer angeblich noch am Leben ist, will sie den Serienkiller in der geschlossenen Anstalt überraschen. Im Hintergrund treibt sich derweil ein Copycat-Killer herum.

    Aufgewärmte Geschichte mit reichlich Trauma

    Ähnlich wie es bei „Halloween“ oder Fortsetzungen anderer großer Horrorfilme der Fall war, versucht auch „Nightwatch 2“ sich an der Erzählschablone des Originals zu orientieren. Inhaltlich ist die Ausgangslage dieselbe, etablierte Figurenkonstellationen werden wiederhergestellt, man pocht auf süße, süße Nostalgie. Gereift ist man dagegen auf emotionaler Ebene. Neben seiner Funktion als Slasher, erweist sich das Sequel auch als grundsolides Familiendrama: Schreckgespenster vergangener Tage heißt es zu konfrontieren, um wieder in Ruhe leben zu dürfen. Andernfalls nehmen die ganz realen Schrecken kein Ende. Psychologisch mag das wenig in die Tiefe gehen und sich zeitweise sogar dem Traumapornografischen nähern, das Konfliktpotenzial bleibt aber bis zum Ende spannend. Die Schockbilder, die 1994 in ihrer Radikalität noch zu überraschen wussten, erzielen Anno 2024 aber nicht denselben Effekt. Da kann der Psychoterror noch so versiert inszeniert sein.
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    (Christian Pogatetz)
    17.05.2024
    09:32 Uhr