Filmkritik zu La Cocina

Bilder: HanWay Films Fotos: HanWay Films
  • Bewertung

    Die Stimmung kocht

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Was hinter den Kulissen eines Restaurants passiert, interessiert die Gäste selten. Doch eine Küche scheint ein hochsensibles Ökosystem zu sein, das jederzeit in sich zusammenfallen kann. Alonso Ruizpalacios (er gewann 2018 einen Silbernen Bären für sein Drehbuch zu „Museum“) adaptierte das Bühnenstück „The Kitchen“ von Arnold Wesker für diesen äußerst intensiven Film. Und der ist ebenso wie die Arbeit dort - nichts für schwache Nerven!

    „The Grill“ ist eines der beliebtesten Lokale in New York City. Täglich finden sich dort Scharen von Gästen ein, um in dem Lokal zu essen. Ohne Einwanderer würde das Ganze jedoch nicht funktionieren. Ein solcher ist Pedro (Raul Briones Carmona). Der arbeitet dort schon seit Jahren als Koch, hat aber immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung. Er hat eine Affäre mit der Kellnerin Julia (Rooney Mara), die schließlich schwanger wird. Als ein Diebstahl passiert ist Pedro plötzlich der Hauptverdächtige. Doch bevor er als Sündenbock niedergeht, steckt er lieber den ganzen Laden in Brand und bald schon wird sich daran jeder dort die Finger verbrennen…

    Als jemand, der selbst in einer Küche arbeitet, war mir der Schauplatz als Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen nicht neu. Im Fall der USA sind es offensichtlich Einwanderer aus Mexiko, die die Industrie am Leben erhalten. Ruizpalacios wollte den sonst Unsichtbaren eine Bühne geben, als Metapher auf den Spätkapitalismus, wo jeder immer und überall ersetzbar ist, egal was und wieviel man bisher geleistet hat. Er selbst hat, wenn auch nicht als Illegaler, dazu während dem Studium viel in Restaurants gearbeitet und die strikten Hierarchien kennengelernt. Ihm ging es primär darum, die Menschen zu zeigen, die hinter dem Essen stehen, nicht das Essen selbst. Auf den üblichen Food Porn, der zahlreiche Restaurantfilme sonst dominiert, verzichtete er bewusst, manchmal sollte es im Zweifelsfall sogar ungenießbar aussehen.

    Auch die Küche selbst wirkt sehr surreal. Als jemand, der mit dem Fach vertraut ist, konnte ich nur feststellen, dass die verschiedenen Stationen und ihre Aufteilung unter Umständen gar keinen Sinn machen, ebenso das wild zusammengewürfelte Speisenangebot. Hier sickert vermutlich die Theatervorlage durch, selbst der generische Name des Restaurants deutet daraufhin, dass alles eher allegorisch zu verstehen ist.

    Durch die herausragende Kameraarbeit von Juan Pablo Ramirez macht das Ganze auch optisch echt was her. Die Entscheidung komplett in schwarz-weiß zu drehen verstärkt die fabelhafte Wirkung. Man könne nicht einmal sagen, wann alles passiert, die Geschichte ist zeitlos. Doch deswegen verliert sie noch lange nichts von ihrem Sog. Das Chaos, die Hitze, der Stress; selbst Gastronomie-Unerfahrene könnten hier in Panik verfallen. Noch so verrückte Szenen seien dabei von realen Vorkommnissen inspiriert worden (Stichwort: Cherry Coke!). Den Höhepunkt bildet eine besonders beeindruckende und perfekt choreografierte Plansequenz.

    Einen erheblichen Anteil an der Intensität haben die verschiedenen Akteure. Auf Rooney Mara als wohl prominentestes Ensemblemitglied ist immer Verlass. Raul Briones Carmona als Pedro gibt jedoch den Ton an, wie es auch seine Figur in der Küche tut. Sein Grande Finale liefert eine der mitreißendsten Darbietungen, die ich seit längerem auf einer Leinwand erleben durfte. Anna Diaz überzeugt weiters mit ihrem Schauspieldebüt und holt alles aus der kurzen Rolle als Neuzugang Estela raus.

    „La Cocina“ überzeugt mit Kreativität, Mut, technischer Perfektion und herausragendem Spiel und ist daher schon jetzt ein Highlight des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs.
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    (Markus Toth)
    17.02.2024
    12:42 Uhr