Filmkritik zu Der Killer

Bilder: Netflix Fotos: Netflix
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    John Wick und The Equalizer sind Schnee von gestern, endlich

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Wenn weltbekannte Regisseure einen neuen Film veröffentlichen, ist die Neugier immer recht groß. Wenn jedoch David Finchers (Fight Club, The Social Network) neuestes Werk im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig Premiere feiert, fällt meine Neugier immens aus. Dadurch, dass bis vor wenigen Tagen nur die Information bekannt war, dass Michael Fassbender einen Auftragskiller verkörpert, wurde das Interesse noch einmal deutlich befeuert. Nach der Premiere, in der es kurzen Massenbeifall gab, lässt sich sagen, dass Fincher wieder ins Schwarze getroffen hat und das gleich mehrfach.

    Christian (Michael Fassbender) ist Auftragskiller und wartet geduldig in seinem Hide-Spot, um seinem Ziel den Garaus zu machen. Stunden werden zu Tagen, in der Zwischenzeit sagt er immer wieder sein Mantra auf: „Anticipate, adapt, not improvise. Trust no one! Empathy is weakness, weakness is vulnerability!“. Als sein Ziel endlich auftaucht, setzt er zum Schuss an. Eine Sekunde später ist die Welt eine andere. Schnell packt er seine Sachen und verschwindet so schnell wie sein abgefeuertes Projektil. Mit den unerwarteten Stunden und Tagen, die folgen, hat er nicht gerechnet. Fortan verfolgt er eine Spur, die ihm nun selbst im Nacken sitzt.

    Zehn Jahre ist es bereits her, als Michael Fassbender das letzte Subjekt der Unterwelt in „The Counsellor“ abgegeben hat. Dieses Mal nicht im Anzug, sondern in ständig wechselnden Outfits, gleicht er einem Chamäleon, um nicht aufzufallen. Die Fincher-Inszenierung trifft dabei ins Schwarze. Peng, mitten in die Zehn, bereits beim Intro. Peng, eine weitere Zehn, wenn die Figur des Killers eingeführt wird. Dieser hat die Welt verstanden, wie es wohl nur wenige Menschen tun. Es ist eine Welt der Zahlen, wie uns Fincher zeigt. Große Zahlen im Kontext der Globalisierung (z.B. Stand der Weltbevölkerung) stehen dabei im Kontrast zu den kleinen Zahlen des Individuums (die Grammangabe, wie viel Protein in einem McDonald's Burger enthalten ist). Das Wissen im Kontext seines Berufs (der Idealwert der Herzfrequenz beim Schuss abgeben) rundet seinen Wissensschatz perfekt ab.

    Peng, schon wieder trifft Fincher in die Zehn, wenn es um das Leben des Killers geht. Die Professionalität, die natürlich essentiell in diesem Gewerbe ist, wird dabei präzise beleuchtet, es fühlt sich schon fast nach einem Tutorial an: „How to be a good Killer“. Das „gut“ ist gleichbedeutend mit effizient, integer und gründlich, für moralische Kontexte ist hingegen absolut kein Platz. Ein Praktikum bei Christian käme vor dem Hintergrund einem Jackpot gleich, sofern man in dieses Gewerbe einsteigen will. „The Killer“ ist aber nicht nur ein Festmahl für die Individuen jener Untergrundwelt, sondern auch für das Publikum, welches in typischer Fincher-Manier unterhalten werden will. Neben den energetischen Actionszenen und spannungsvollen Thriller-Elementen kommt ein bissiger Humor dazu, mit dem Fincher unsere Welt (es ist eben jene, in der sich der Killer befindet) unter die Lupe nimmt.

    Peng, ebenfalls hier ist der Schuss mitten in der Zehn, wenn Fincher dem Publikum vereinfachte Anleitungen liefert, wie man in Hotelkomplexe einbricht, Sicherheitsmaßnahmen umgeht und zeigt, wie weit man allein mit vereinzelten Objekten aus dem Amazon-Sortiment kommen kann. Der Umstand, dass sich nicht sagen lässt, ob das an Unternehmenskritik grenzt oder doch eher dazu aufruft, Amazon-Kunde zu werden, ist an Spitzfindigkeit nicht zu überbieten. Es wäre wenig überraschend, würden sich Autoritäten an dieser Einfachheit, die sich potentielle Terroristen zunutze machen könnten, aufhalten und Fincher vorwerfen, sein Werk rufe zur Kriminalität auf. Es ist ein polarisierender Geniestreich, ganz im Geiste Finchers.

    Peng, die nächste Zielscheibe ist durchlöchert, dieses Mal durch die Sieben. Was ist plötzlich los? Nachdem Fincher den Killer als stets vorausschauendes Organisationstalent sehr bedacht in Szene setzt, gibt es im Laufe der Geschichte vereinzelte Momente, die mal mehr, mal weniger irritieren, mehr sei zu diesem Zeitpunkt nicht verraten. Das bringt die Geschichte zum Glück nicht signifikant aus dem Rhythmus, dennoch ging der Schuss daneben. Finchers Film ist in der Gesamtheit, wenn alle durchlöcherten Zielscheiben ausgewertet werden, trotzdem ein Großkaliber im Genre der Actionthriller.

    In Zeiten von Keanu Reeves als John Wick, Denzel Washington als Equalizer oder Brad Pitt als witziges Abziehbild eines Auftragskillers (Bullet Train) gibt es wenig Filme, die in der mittelmäßigen bis soliden Herumballerei herausragen. Mit „The Killer“ ist ein typischer Fincher entstanden, der hämisch dem Rest gegenübersteht, als könnten sie ihm das Wasser nicht einmal ansatzweise reichen. Das funktioniert die meiste Zeit hervorragend, bis es ein paar kleine Stolpersteine gegen Ende hin gibt.
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    (Michael Gasch)
    04.09.2023
    09:47 Uhr