Forum zu Der Killer

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    Tagesgeschäft eines Zynikers

    Gewerkschaften gibt’s für diese Branche keine. Auch die Hotline für den Kundendienst sucht man vergebens. Denn Auftragsmörder müssen alles selber machen. Naja, fast alles. Zumindest erhalten sie ihre Aufträge über getarnte Mittelsmänner und -frauen, die im Falle eines Deals ordentlich mitschneiden. Doch mehr ist da nicht. Und ist der Kunde mal unzufrieden, kann er sich seine Beschwerde sonst wohin stecken. Das wäre im regulären und auch legalen Dienstleistungsgewerbe eine vielleicht zwar ärgerliche, aber nicht so große Sache. Doch wenn es darum geht, eine Zielperson zu liquidieren, die dem Kunden sauer aufstößt, und diese Liquidation dann so richtig versemmelt wird, würde man als unzufriedener Auftraggeber dann doch gerne sein Herz ausschütten wollen.

    Da der Killer aber den Beschwerden kein Ohr schenken kann, weil er ausschließlich damit beschäftigt ist, unterzutauchen, bleibt nur noch die Möglichkeit, den Auftrag zu annullieren. Was dabei im Notfallplan ganz oben steht, ist das Einschläfern des Killers selbst, denn nicht erbrachte Leistung kann für jene, die sich die Finger nicht schmutzig machen wollen, unschöne Folgen haben. Bei so einer Zero Tolerance-Arbeitsphilosophie hätte ich als asketischer Perfektionist, wie Michael Fassbender ihn darstellt, längst auf ein anders Pferd gesetzt. Anscheinend aber ist der Mammon wieder mal alles, und der Rest, wie er selbst sagt, scheißegal. Dieser Killer also, der so viele Namen trägt, wie der Film Minuten hat, „gschaftlhubert“ sich, wie man in Österreich sagen würde, durch einen durchgestalteten Notfallplan, der zum Tragen kommt, wenn der Schuss danebengeht. Stets ist uns der Mann mit dem Hut in seinen Gedanken einen Schritt voraus – ehe das Publikum begreift, was er vorhat, sitzt Fassbender wieder irgendwo im Flieger, völlig unverdächtig mit Sonnenbrille und scheelem Blick, denn es könnte der Verbraucherschutz hinter ihm her sein.

    Basierend auf der Comicserie von Matz, hat David Fincher einen Finsterling erschaffen, der weder Moral- noch Wertvorstellungen besitzt. Will man so einer Person zwei Stunden lang durch einen Film folgen? Warum nicht, schließlich kann es ja sein, dass diese im Laufe ihrer Tätigkeit an Grenzen stößt, die das Spektrum erweitern oder die Sicht auf die Dinge vielleicht verändern. Doch mit irgendwelchen moralischen Zeigefingern fuchtelt Fincher nicht herum – im Gegenteil. Für diesen Killer, dessen Motivation keinerlei Erwähnung findet, auch wenn er langmächtig herumphilosophiert, gibt es kein Zurück. Auf irreversible Weise hat er sich selbst definiert, und unter dieser Überzeugung übt er auch Vergeltung. Womit wir wieder bei Schema F jener Sorte von Thriller wären, die Auftragskiller gerne gegen ihre Kundschaft losschickt, aus Rache oder persönlicher Kränkung; weil sie endlich frei sein wollen (siehe John Wick oder Kate) oder weil sie doch noch sowas wie ein Herz haben (siehe Leon, der Profi).

    Etwas allerdings ist dann doch anders als sonst. Fernab jeglicher hieb-, stich- und schussfester Akrobatik probt Fincher die pragmatische Reduktion im Zwielicht, als Schattenriss unter Straßenlaternen oder im verwaschenen Halo indirekter Lichtverschmutzung. Fassbender rezitiert sein abgedroschenes Mantra, das unter anderem beinhaltet, niemanden zu trauen und sich nicht ablenken zu lassen. Binsenweisheiten eines Überheblichen, bei dem man sich wünscht, dass er damit nicht durchkommt. Im Grunde sehen wir einem Verbrecher bei seiner Arbeit zu, der, vom Tagesgeschäft überrumpelt, wie einst Alain Delon Schadensbegrenzung übt, indem er, unter anderem im Zuge knochenharten Hickhacks mit Kollegen, Schaden verursacht. Eiskalt und ohne Mitgefühl, dadurch aber unsagbar zynisch und arrogant, gewinnt der Killer niemanden für sich. Finchers Charakterstudie hat somit keinerlei Mehrwert. Und anders als in Formaten wie Breaking Bad, wo die moralisch Verkommenen immerhin noch ein bisschen was an ihrer schwarzen Weste weiß halten, weil sie gewissen Werten folgen, bleibt diesem hier nicht mal das. Wie ernüchternd.



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    20.11.2023
    18:27 Uhr
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    John Wick und The Equalizer sind Schnee von gestern, endlich

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Wenn weltbekannte Regisseure einen neuen Film veröffentlichen, ist die Neugier immer recht groß. Wenn jedoch David Finchers (Fight Club, The Social Network) neuestes Werk im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig Premiere feiert, fällt meine Neugier immens aus. Dadurch, dass bis vor wenigen Tagen nur die Information bekannt war, dass Michael Fassbender einen Auftragskiller verkörpert, wurde das Interesse noch einmal deutlich befeuert. Nach der Premiere, in der es kurzen Massenbeifall gab, lässt sich sagen, dass Fincher wieder ins Schwarze getroffen hat und das gleich mehrfach.

    Christian (Michael Fassbender) ist Auftragskiller und wartet geduldig in seinem Hide-Spot, um seinem Ziel den Garaus zu machen. Stunden werden zu Tagen, in der Zwischenzeit sagt er immer wieder sein Mantra auf: „Anticipate, adapt, not improvise. Trust no one! Empathy is weakness, weakness is vulnerability!“. Als sein Ziel endlich auftaucht, setzt er zum Schuss an. Eine Sekunde später ist die Welt eine andere. Schnell packt er seine Sachen und verschwindet so schnell wie sein abgefeuertes Projektil. Mit den unerwarteten Stunden und Tagen, die folgen, hat er nicht gerechnet. Fortan verfolgt er eine Spur, die ihm nun selbst im Nacken sitzt.

    Zehn Jahre ist es bereits her, als Michael Fassbender das letzte Subjekt der Unterwelt in „The Counsellor“ abgegeben hat. Dieses Mal nicht im Anzug, sondern in ständig wechselnden Outfits, gleicht er einem Chamäleon, um nicht aufzufallen. Die Fincher-Inszenierung trifft dabei ins Schwarze. Peng, mitten in die Zehn, bereits beim Intro. Peng, eine weitere Zehn, wenn die Figur des Killers eingeführt wird. Dieser hat die Welt verstanden, wie es wohl nur wenige Menschen tun. Es ist eine Welt der Zahlen, wie uns Fincher zeigt. Große Zahlen im Kontext der Globalisierung (z.B. Stand der Weltbevölkerung) stehen dabei im Kontrast zu den kleinen Zahlen des Individuums (die Grammangabe, wie viel Protein in einem McDonald's Burger enthalten ist). Das Wissen im Kontext seines Berufs (der Idealwert der Herzfrequenz beim Schuss abgeben) rundet seinen Wissensschatz perfekt ab.

    Peng, schon wieder trifft Fincher in die Zehn, wenn es um das Leben des Killers geht. Die Professionalität, die natürlich essentiell in diesem Gewerbe ist, wird dabei präzise beleuchtet, es fühlt sich schon fast nach einem Tutorial an: „How to be a good Killer“. Das „gut“ ist gleichbedeutend mit effizient, integer und gründlich, für moralische Kontexte ist hingegen absolut kein Platz. Ein Praktikum bei Christian käme vor dem Hintergrund einem Jackpot gleich, sofern man in dieses Gewerbe einsteigen will. „The Killer“ ist aber nicht nur ein Festmahl für die Individuen jener Untergrundwelt, sondern auch für das Publikum, welches in typischer Fincher-Manier unterhalten werden will. Neben den energetischen Actionszenen und spannungsvollen Thriller-Elementen kommt ein bissiger Humor dazu, mit dem Fincher unsere Welt (es ist eben jene, in der sich der Killer befindet) unter die Lupe nimmt.

    Peng, ebenfalls hier ist der Schuss mitten in der Zehn, wenn Fincher dem Publikum vereinfachte Anleitungen liefert, wie man in Hotelkomplexe einbricht, Sicherheitsmaßnahmen umgeht und zeigt, wie weit man allein mit vereinzelten Objekten aus dem Amazon-Sortiment kommen kann. Der Umstand, dass sich nicht sagen lässt, ob das an Unternehmenskritik grenzt oder doch eher dazu aufruft, Amazon-Kunde zu werden, ist an Spitzfindigkeit nicht zu überbieten. Es wäre wenig überraschend, würden sich Autoritäten an dieser Einfachheit, die sich potentielle Terroristen zunutze machen könnten, aufhalten und Fincher vorwerfen, sein Werk rufe zur Kriminalität auf. Es ist ein polarisierender Geniestreich, ganz im Geiste Finchers.

    Peng, die nächste Zielscheibe ist durchlöchert, dieses Mal durch die Sieben. Was ist plötzlich los? Nachdem Fincher den Killer als stets vorausschauendes Organisationstalent sehr bedacht in Szene setzt, gibt es im Laufe der Geschichte vereinzelte Momente, die mal mehr, mal weniger irritieren, mehr sei zu diesem Zeitpunkt nicht verraten. Das bringt die Geschichte zum Glück nicht signifikant aus dem Rhythmus, dennoch ging der Schuss daneben. Finchers Film ist in der Gesamtheit, wenn alle durchlöcherten Zielscheiben ausgewertet werden, trotzdem ein Großkaliber im Genre der Actionthriller.

    In Zeiten von Keanu Reeves als John Wick, Denzel Washington als Equalizer oder Brad Pitt als witziges Abziehbild eines Auftragskillers (Bullet Train) gibt es wenig Filme, die in der mittelmäßigen bis soliden Herumballerei herausragen. Mit „The Killer“ ist ein typischer Fincher entstanden, der hämisch dem Rest gegenübersteht, als könnten sie ihm das Wasser nicht einmal ansatzweise reichen. Das funktioniert die meiste Zeit hervorragend, bis es ein paar kleine Stolpersteine gegen Ende hin gibt.
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    04.09.2023
    09:47 Uhr