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    Gedankenreise um die Welt

    Exklusiv für Uncut vom International Film Festival Rotterdam
    Was macht man, wenn man Gefühle für jemanden entwickelt, diese aber nicht ausgelebt werden können und die Nähe zu der anderen Person fast schon zur Tortur wird? Und was macht man, wenn man sich nach der Ferne fremder Orte sehnt, diese aber nicht bereisen kann und sich deshalb in Tagträumereien wiederfindet? Die Japanerin Riho Kudo beschäftigt sich mit diesen und weiteren Fragen in ihrem neuesten Werk „Let Me Hear It Barefoot“ und liefert damit ein einfühlsames filmisches Abenteuer rund um Annäherungen, Nostalgie und Reiselust.

    Naomi (Shion Sasaki) arbeitet tagsüber an der Sperrmüllsammelstelle, nach seinem Arbeitsdienst ist er oft im Schwimmbad anzutreffen. Dort trifft er auch das erste Mal auf Maki (Shuri Suwa), der seinen Schwimmstil kommentiert. Wenig später treffen sich die beiden Männer erneut, dieses Mal hat Maki jedoch seine blinde Adoptivoma Midori (Jun Fubuki) im Schlepptau, die von Reisen in ferne Länder träumt. Naomi schließt sie sofort ins Herz. Aber dann wird Midori ins Krankenhaus eingeliefert. Als sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, steht für Maki schnell fest: wenn seine Großmutter die weite Welt nicht selbst bereisen kann, dann will er die fernen Länder zu Midori ins Krankenzimmer holen – und so fingiert er eine Weltreise samt Audiotapes, augenscheinlich aufgenommen an den unterschiedlichsten Destinationen, in Wahrheit allerdings erstellt in Makis Wohnung und unmittelbarer Umgebung.

    „He’s gone to see the whole world. Instead of me.“ sagt die Oma mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als sie das erste Audiotape abspielt, dass ihr Maki aus einem vermeintlich fernen Land zugeschickt hat. Die Nähe zwischen den beiden Charakteren ist spürbar, die tiefe Bindung stets evident. Naomi beobachtet die Szene, als eingeweihter Komplize Makis erinnert er sich an das gemeinsame Erstellen der Sandsturm-Geräusche, die durch das Krankenzimmer hallen. Allerdings stammen die Audioaufnahmen nicht, wie Midori vermutet, mitten aus der Sahara, sondern von einem verlassenen Volleyball-Feld in der Nähe.

    Die Beziehungen zwischen den Figuren stellen einen zentralen Punkt in „Let Me Hear It Barefoot“ dar, die unterdrückten Gefühle, die daraus hervorgehen ebenso. Während Riho Kudos Film eindeutig eine Familiengeschichte behandelt, ist dem Drama ebenso eine Liebesgeschichte inhärent. Denn Naomi und Maki nähern sich mit der Zeit immer stärker an, scheinen sich ihren Gefühlen allerdings nicht hingeben zu können, da sie beide mit ihrer sexuellen Identität hadern. Körperliche Nähe ist nur anhand verspielter Rangeleien möglich, oft wird durch einen ausgestreckten Arm oder durch einen zugewandten Körper das unterdrückte Verlangen umso deutlicher.

    So einfühlsam die unterdrückten Gefühle auch dargestellt werden, hapert es dann aber doch leider etwas an der Charakterisierung der Figuren. Eine bessere Ausarbeitung der Hintergrundgeschichten der einzelnen Charaktere wäre wünschenswert gewesen. Mit der Zeit stellt sich „Let Me Hear It Barefoot“ auch als etwas repetitiv heraus, scheint der Film einem ständig sich wiederholenden Ablauf zu unterliegen: Maki und Naomi widmen sich den Aufnahmen, beginnen danach mit ihrer Rangelei, Naomi besucht Midori, diese hört gebannt die Audios. Das Ende fällt dann leider auch etwas enttäuschend aus und gliedert sich nicht so gut in die restliche Handlung ein.

    Dafür ist der Weg dahin aber umso sehenswerter: die gelungene Kameraführung, der harmonische Schnitt und die sympathischen Darsteller*innen sorgen dafür, dass man in „Let Me Hear It Barefoot“ auf ein gefühlsbetontes Gedanken-Reise-Experiment mitgenommen wird, das auch die eigene Sentimentalität anspricht. Was will man mehr.