Filmkritik zu Waiting for the Barbarians

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Der Barbar in uns allen

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Das 1980 erschienene Buch „Warten auf die Barbaren“ (Internationaler Titel: „Waiting for the Barbarians“) des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee wird für seine Auseinandersetzung mit den Folgen von Imperialismus vielerorts als einer der großen Romane des 21. Jahrhunderts anerkannt. Der kolumbianische Filmemacher Ciro Guerra, der für seine zwei letzten Werke „Der Schamane und die Schlange“ und „Birds of Passage“ Unmengen an Lob einheimsen durfte, hat sich nun der Aufgabe angenommen, den Roman unter dem gleichnamigen Titel für die große Leinwand zu adaptieren, und gibt damit auch noch gleich sein englischsprachiges Debüt.

    Zeitlich und örtlich lassen sich die Geschehnisse von „Waiting for the Barbarians“ bewusst schwer einordnen. Die Handlung spielt an einem mitten in einer Wüste gelegenen kleinen Außenposten eines scheinbar mächtigen Imperiums ab. Außerhalb der Grenzstadt leben Nomaden, mit denen es zunächst jedoch keinerlei Probleme gibt. Ein namensloser Magistrat (Mark Rylance) zeichnet sich für die Verwaltung und die friedliche Balance innerhalb der Grenzstadt verantwortlich. Das harmonische Zusammenleben wird aber gestört, als der Magistrat plötzlich Besuch vom über ihn stehenden Colonel Joll (Johnny Depp) bekommt, der gesandt wurde um die Möglichkeit eines Angriffs der ‚barbarischen‘ Nomaden zu untersuchen. Joll schreckt nämlich nicht davor zurück, brutale Foltermethoden den vermeintlichen Barbaren gegenüber anzuwenden, um deren angeblichen Kriegspläne zu entlarven. Nachdem Joll gemeinsam mit einer Gruppe Soldaten das Gebiet wieder verlässt, muss der Magistrat mit den erschreckenden Nachwehen umgehen, die die Gräueltaten des Colonels im sonst so friedlichen Dorf angerichtet haben, und hinterfragt dabei seine eigene Berufung. Als er sich dann auch noch in eine schwer zugerichtete Nomadin verliebt, fühlt sich der einfühlsame Magistrat plötzlich zwischen seiner eigenen imperialistischen Aufgabe und dem menschlichen Sinn nach Gerechtigkeit hin- und hergerissen.

    So komplex die politische Allegorie des Ganzen noch auf Papier erscheinen mag, so offensichtlich zeichnet sich diese im fertigen Film ab. Auch wenn sich viele Leute ob der fehlenden Subtilität der Verfilmung vor den Kopf gestoßen fühlen werden, tut das der Qualität des Werks keinen Abbruch. Guerro hat ein unangenehm anzuschauendes aber ästhetisch dennoch vereinnahmendes Drama gedreht, das in seiner Botschaft aktueller denn je daherkommt und trotz der namhaften Hollywoodbesetzung jeglichen narrativen Konventionen strotzt.

    Unterteilt wurde der Film in vier Kapitel (Frühling, Sommer, Herbst, Winter), die sich alle jeweils zu einer anderen Jahreszeit abspielen. Guerro lässt sein Werk sehr schleichend aufbauen und verliert sich andauernd in den surreal schönen Aufnahmen seiner Wüstenumgebung, woran sich bestimmt einige Zuschauer stoßen werden. Wer jedoch die anfängliche Langsamkeit auf sich nimmt, kann mit einem albtraumhaften und streckenweise erstaunlich sinnlichen Trip entlang menschlicher Abgründe belohnt werden.

    Zusammengehalten wird alles von einer beachtlichen Schauspielleistung von Oscar-Preisträger Mark Rylance, der als nachdenklicher und (vermeintlich) moralisch korrekt handelnder Magistrat Guerros Drama fast zur Gänze auf seinen Schultern trägt. Obwohl sein Charakter nur sporadisch im Film auftritt, schafft es Johnny Depp – ausgestattet mit kalter Miene und stylisher Sonnenbrille – als Colonel Joll jegliche Szenen für sich zu vereinnahmen und sorgt mit seiner alleinigen Präsenz für Unbehagen. Im letzten Drittel taucht auch noch Robert Pattinson in einer eindringlichen Nebenrolle als Soldat auf, dessen kaltblütige Ader der des Colonels gleicht.

    Wie bereits mehrfach erwähnt ist die Grundaussage des Films durch die klar definierten Gut-Böse-Konstellationen zwar einfach herauszulesen, büßt aber nichts an ihrer erschreckenden Aktualität ein. Da auch im realen Leben in Zeiten humanitärer Krisen nicht selten (besonders von Menschen in Machtpositionen) zu inhumanen Methoden gegriffen wird, um das ‚Fremde‘ fernzuhalten, wirken die im Film gezeigten Taktiken gar nicht mal zu weit hergeholt.

    Müssen wir denn dann überhaupt noch auf die Barbaren warten?

    Oder sind diese nicht schon längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen?
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    (Christian Pogatetz)
    09.09.2019
    20:20 Uhr