Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
Filme, die sich um einstige Neonazis drehen, die ihrer fragwürdigen Vergangenheit den Rücken kehren möchten, stellen im Kino eher eine Seltenheit dar. Das populärste Beispiel für einen Film, der eine solche Thematik behandelt, dürfte wohl „American History X“ (1996) von Tony Kaye sein. Einem ähnlichen Sujet wie Kayes Streifen widmet sich Filmemacher Guy Nattiv in seinem neuen Film „Skin“.
Basierend auf wahren Ereignissen erzählt Nattivs Drama von Bryon Widner aka „Babs“ (Jamie Bell), der in jungen Jahren von der Straße geholt wurde und in einer kulthaften Gemeinschaft zum Skinhead großgezogen wurde. Als er auf Julie (Danielle MacDonald) trifft, die einst selbst einer Neonazi-Familie angehörte, versucht der am Körper mit fragwürdigen Tattoos versehene junge Mann, der die Wertvorstellungen seiner „Familie“ nicht mehr gutheißen kann, einen Ausweg aus dem Skinhead-Clan zu finden. Der Ausstieg gestaltet sich jedoch schwieriger als erhofft, denn sowohl Familienpatriarch Fred Krager (Bill Camp) als auch andere Mitglieder der Gruppierung legen bei Regelverstößen gegen den Clan eine Härte an den Tag, die Babs in Furcht und Schrecken versetzt. Mithilfe des afroamerikanischen politischen Aktivisten Daryle Jenkins (Mike Colter), der bereits einigen ehemaligen Skinheads dazu verhalf, derartige Gruppierungen zu verlassen, will Bryon es dennoch schaffen, sein Neonazi-Dasein an den Nagel zu hängen.
Guy Nattiv ist ein emotional aufwühlendes Drama mit schauspielerischen Glanzleistungen gelungen, das sein komplexes Thema vielseitig behandelt ohne je zu versuchen die früheren Taten seines Protagonisten zu rechtfertigen. Im Gegensatz zum in meiner Meinung überschätzten „American History X“ macht Nattiv aus der schwierigen Thematik kein märchenhaftes Melodrama, sondern legt eine realistische Herangehensweise an den Tag, die weitestgehend auf einen emotional manipulativen Score verzichtet. So beginnt der Film mit einem Protest von Babs' neonazistischer Truppe, dem eine Gegendemonstration von afroamerikanischen Aktivisten, angeführt von Daryle Jenkins, der später Widner dazu verhilft der Organisation zu entkommen, gegenübergestellt wird. Eine eindrucksvolle Eröffnungssequenz, die gleich einmal den brachial harten und unbeschönigten Ton, der sich durch den gesamten Film zieht, definiert.
„I turn human garbage into human beings.“
Dieses Zitat, das Jenkins am Anfang des Films von sich gibt, beschreibt die Art und Weise wie Nattiv es schafft seinen Protagonisten zu humanisieren, ohne dabei dessen Vergangenheit zu verteidigen, ziemlich passend. Es ist trotz der erschreckenden Härte, die hier rau porträtiert wird, nämlich ein schlussendlich positiver Film, der den Glauben besitzt, dass Menschen die Fähigkeit besitzen zu reifen und sich grundlegend zum Positiven verändern können, wenn der Wille dazu bereit ist. Nichtsdestotrotz wird Widners inneres Gefühlsleben, das im Laufe des Films einer große Veränderung durchläuft, sehr zwiespätlig dargestellt. Diese komplexe Darstellung seiner Figur stellt den Zuschauer über weite Teile des Films hinweg vor die Frage, ob denn eine Person, der lange Zeit ein gewisses Gedankengut eingehämmert wurde, diesem überhaupt vollkommen den Rücken kehren kann.
Die schwere Aufgabe eine solche Figur zu humanisieren, ohne dabei die schwere Thematik zu relativieren, lastet Hauptdarsteller Jamie Bell auf den Schultern, was er mit Bravour meistert. Seine Transformation vom Skinhead, der blind den Idealen seiner Familie folgt, bis hin zu einem Mann, der sich seiner einstigen Fehler bewusst ist und sich dafür schämt spielt Bell absolut glaubwürdig. Auch Danielle MacDonald („Patti Cakes“) spielt groß auf und schafft es vor allem mit einem natürlichen Charme zu punkten. In den Nebenrollen wären besonders Bill Camp und Vera Farmiga als die beiden Familien-Oberhäupter Fred und Shareen Krager hervorzuheben, die die hinterlistigen und berechnenden Wege, die verwendet werden um junge Leute in ihren Clan zu locken, mit einer kalten Miene wiedergeben, die einen das Blut in den Adern gefrieren lässt. Aber auch Mike Colter („Luke Cage“) weiß in seiner Aktivistenrolle des Daryle Jenkins durchaus zu überzeugen, wenn auch seine Screentime gerne länger hätte sein können.
Auch auf technischer Ebene kann Nattiv mit einem feinen Gespür für eine gleichzeitig feinfühlige wie auch raue Inszenierung punkten, das dem Film seine nachhallende Kraft verleiht. Ebenso kann der größtenteils musiklose Film in seinen härtesten Momenten mit einem Sounddesign aufwarten, das einem den Boden unter den Füßen wegzieht.
Fazit: „Skin“ hätte bei der brisanten Thematik in falschen Händen durchaus völlig nach hinten losgehen können. Jedoch schafft es Regisseur Guy Nattiv ohne Heroisierung und wenig Pathos die wahre Geschichte nachzuerzählen und wirft dabei stets die Frage auf, ob denn die Sozialisierung solcher Personen überhaupt möglich sei. Obwohl der Film auf die Möglichkeit der Veränderung schlussendlich mit einem klaren JA antwortet, wird die eigene Entscheidung darüber dem Zuschauer offengelassen. Ein emotional aufrüttelndes, komplex verschachteltes und stark gespieltes Drama mit einer unangenehm rauen Gewaltdarstellung, aber umso hoffnungsvolleren Grundbotschaft. Ein wichtiger Film, der hoffentlich sein Publikum finden wird!