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  • Bewertung

    Ein Guerillakämpfer ohne Revolution

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die B-Movie-Landschaft ist grausam. Nehmen wir als Beispiel die USA. Während Roger Corman – zweifelsohne vor allem weil er späteren Hollywood-Größen wie Jack Nicholson, Jonathan Demme, Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola erste Karriereschritte ermöglichte – im Jahr 2010 sogar einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk erhielt, bleibt Larry Cohen, ein weiterer Meister des Trashfilms, auch im Jahr 2017 eher ein Geheimtipp.

    Der erste Cohen-Film, den ich sah, war sein Regiedebüt „Bone“ (1972). Die Geschichte über den Zusammenstoß des weißen und schwarzen Amerikas bezeichnete ich damals als einen der unterhaltsamsten Filme der Viennale 2010, weil er durch (nicht bloß musikalische) Coolness und einen ständig überraschenden Genrecocktail besticht. Themen wie Erpressung, Sex und Mord dienen hier als Vorwand für eine effektive Kritik des westlichen politischen und wirtschaftlichen Systems in den Zeiten des Vietnamkriegs.

    Diese Mischung aus (meist brutalen) Genreausgüßen – besonders schräg: Killer-Babies (die It’s Alive-Trilogie, 1974-1987), Killer-Drachen (Q, 1982) und Killer-Joghurt (The Stuff, 1985) – und unterschweliger Gesellschaftskritik zeichnet auch die meisten anderen Werke Cohens aus, wie wir uns durch Steve Mitchell's Dokumentarfilm „King Cohen: The Wild World of Filmmaker Larry Cohen“ überzeugen konnten. Als Gustostückerl gab es vor dem Film auch eine Videobotschaft von Larry Cohen, in der er sein Wien-Publikum mit einem Wien-Klischee begrüßt hat, nämlich mit dem Summen von Anton Karas' Titelmusik zu „The Third Man“ (Carol Reed, 1949).

    Mitchells Film selbst könnte trotz unkonventionellem Forschungsobjekt nur schwer noch konventioneller ausfallen. Es ist ein chronologisch aufgebauter Dokumentarfilm, der vorwiegend auf Filmausschnitten, Archivfotos und vor allem Interviews mit Cohen, seiner Familie, Freunden und Bewunderern basiert. Obwohl zu Letzteren auch J. J. Abrams, Martin Scorsese, Joe Dante und John Landis gehören, sieht man Cohen fast unbemerkt auf einer Comic Con sitzen, umgeben von vereinzelten treuen Fans. Und obwohl er es geschafft hat als Regisseur auch mit Hollywood-Legenden zusammenzuarbeiten – allen voran mit den Filmmusik-Schwergewichten Bernard Hermann und Miklós Rósza – bekommen wir den Eindruck, dass seine Filmemacher-Karriere, innerhalb derer er auch als Produzent und Drehbuchautor tätig war, eher als ein trüber, ruhiger Fluss verläuft, ohne bemerkenswerte Erfolge und Niederlagen. Was für Cohen selbst natürlich einigermaßen beruhigend sein dürfte, stellt King Cohen in eine Existenzkrise. Wieso macht man einen Film über einen Filmemacher ohne Katharsis, aber mit lauter Filmen, die fast niemand kennt?

    Oder nicht zu kennen glaubt. Denn am nähesten zu einem Durchbruch kam Cohen mit seinen Drehbüchern, die er unter anderem an Sidney Lumet (Guilty as Sin, 1993), Roland Joffé (Captivity, 2007) und Joel Schumacher verkaufte. Mit Letzterem realisierte er „seinen“ wahrscheinlich größten kommerziellen Erfolg, „Phone Booth“ (2002). Lange hat es gedauert, denn mit der Idee über einen Film, der eigentlich gänzlich in einer Telefonzelle spielt, begeisterte er Jahrzehnte zuvor bereits den großen Alfred Hitchcock. Larry Cohen ist eben ein Guerillakämpfer ohne Revolution. Aber halt auch jemand, der den Kampf einfach zu sehr liebt.
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    (Miha Veingerl)
    24.10.2017
    08:18 Uhr
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