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    Love...is all we need?

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Auf nichts in der Welt lässt sich so viel Hoffnung, so viel Sehnsucht und Glück projizieren wie auf die Liebe. Und nichts auf der Welt birgt so viel Potenzial zur Enttäuschung, zur Einsamkeit und zum Unglück wie die Liebe – so oder so: Love is all we need. Wirklich?

    Die Suche nach der Liebe kann dementsprechend ein aufregender, beflügelnder, gleichzeitig aber auch schmerzvoller und belastender Weg sein, vor allem in der modernen Gesellschaft, in der die Sehnsucht nach Zwischenmenschlichkeit zwar nicht weniger geworden ist, dafür aber wesentlich komplizierter. So erfährt es auch die Anfang 50-jährige Künstlerin Isabelle (Juliette Binoche) immer und immer wieder, die in Paris – ausgerechnet in der Stadt der Liebe – beinahe schon verzweifelt auf der Suche nach dem richtigen Mann fürs Leben ist. Doch obwohl es an Angebot nicht mangelt und sie einen Liebhaber nach dem anderen ausprobiert, will nie eine feste Partnerschaft daraus entstehen; weder mit dem verheirateten Bänker, noch mit dem einfachen Arbeiter oder dem einfühlsamen Schauspieler. Auch der Versuch die Beziehung zum Ex-Mann wieder aufleben zu lassen, muss scheitern – Liebe ist kein Gefühl mehr, Liebe ist eine verdammt komplizierte Angelegenheit geworden.

    Mit ironischem Unterton zeichnet die französische Regisseurin Claire Denis ein althergebrachtes, aber deswegen nicht weniger modernes Porträt einer Frau, die trotz vieler Enttäuschungen und vieler Tränen, voller unbändiger Entschlossenheit versucht, die Sehnsucht und ihren Glauben an Liebe nicht aufzugeben; eine verletzliche und gleichzeitig unheimlich starke Frau, die sicherlich vor allem für das weibliche Publikum ein facettenreiches Identifikationspotenzial anbietet. Denn der Film behandelt auf tragisch komische Weise die Schwierigkeit, Liebesbeziehungen in einer ökonomisierten Gesellschaft zu führen, in der alle vornehmlich auf den eigenen Vorteil bedacht sind und zwischenmenschliche Beziehungen zu strategischen Verhandlungsgesprächen avancieren und das existenzielle Gefühl der Liebe scheinbar eine untergeordnete Rolle eingenommen hat: Liebe und Beziehungen passieren nicht mehr, sie werden in endlosen Gesprächen ausgelotet, diskutiert und besprochen, bis auch der letzte Funke Leidenschaft tot geredet ist. Und so löst Isabelles ungeduldige Suche nach dem richtigen Mann, vielleicht auch nur ihre Suche nach einem Ausweg aus der Einsamkeit, zwiespältige Reaktionen beim Zuschauen hervor: Tiefes Verständnis und Mitgefühl sowie gleichzeitiges Haareraufen. In ihrer letzten Verzweiflung sucht Isabelle Hilfe bei einem Wahrsager (Gastaufritt von Gérard Depardieu), der ihr beim Blick in ihre Zukunft rät, sie müsse nur weiter offen bleiben, irgendwann wird er kommen, der richtige Mann. In diesem Moment möchte man Isabelle als Zuschauer/-in nur in den Arm nehmen und ihr sagen – ja, Liebe ist möglicherweise ein großes Glück, aber sicherlich doch nicht alles, was wir brauchen.

    Absichtlich überzeichnet, verknüpft Denis klassische Liebebedürfnisse mit zeitgenössischen Ansprüchen an sich selbst und Anpassungen an gesellschaftliche Veränderungen der Gegenwart, was unweigerlich zu grundlegenden Fragen führt: Lohnt es überhaupt noch, sich zu verlieben, ist das Glück einer möglichen neuen Liebe das absehbare Unglück am Ende dieser Liebe wert? Ist Isabelles Blick auf das Leben völlig romantisiert oder ist dieser Blick nicht vielleicht einfach zutiefst menschlich und Isabelles melancholische Sehnsucht die höchste Form der Liebe überhaupt? Ein herzerwärmender und gleichzeitig tragischer Film über Einsamkeit, Glück und Unglück der Liebe, der klassische Motive mit zeitgenössischen Komplikationen verschmelzen lässt.
    (Raffaela Brundiers)
    07.11.2017
    15:00 Uhr
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