Beach Rats

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Forumseintrag zu „Beach Rats“ von ElaB.

ElaB. (25.10.2017 17:47) Bewertung
Get High by the Beach – Berauschte Sommernächte in Brooklyn
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Dem Feuerwerk am Strand von Coney Island kann der Teenager Frankie schon lange nichts mehr abgewinnen. Es ist schließlich jeden Abend das Gleiche, den ganzen Sommer lang und damit manifestiert sich für Frankie in den bunten Lichtern am Himmel über Brooklyn das Gegenteil von Aufregung und Romantik. Die Wiederkehr des Immergleichen versuchen die Teenager Frankie und seine Freunde durch Drogen zu betäuben, um die langen Sommertage und Nächte in den Vergnügungsparks angrenzend an die Strände im Süden New Yorks irgendwie erträglicher zu machen.

Aber es ist nicht nur der Kreislauf des Tristen, den Frankie im Rauschzustand zu entkommen versucht. Es ist auch eine Flucht vor den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, vor der inneren Zerrissenheit und der Auseinandersetzung mit sich selbst. Denn für seine Mutter und seine Schwester muss er seit dem Tod des Vaters die Rolle des „Mann im Haus“ übernehmen, für seine Buddies den coolen Typen ohne Verletzlichkeit und für seine Freundin Simone den verruchten Bad Boy – im Grunde aber, ist all das Fassade und Frankie nur ein Junge auf der Suche nach der eigenen Identität, der seine sexuellen Bedürfnisse hinterfragt. Keiner weiß, dass Frankie sich nachts online in der Homosexuellen-Szene rumtreibt und sich vornehmlich mit älteren Männern am Strand zum Sex verabredet.

Die Regisseurin und Autorin Eliza Hittman zeichnet in Beach Rats die Entwicklung eines jungen Mannes, der beginnt, sein eigenes Begehren, seine sexuellen Wünsche und Fantasien zu entdecken, dabei aber in einem gesellschaftlichen Milieu aufwächst, in dem heterosexuelle Geschlechteridentitäten als soziale Konstrukte so selbstverständlich erscheinen, dass eine Abweichung davon in den Bereich des Unmöglichen fällt. Ein gesellschaftliches Umfeld, in dem sich die heranwachsenden Jungen an traditionellen Männlichkeitsbildern orientieren und Machismus zur grundlegenden Weltordnung gehört. Mit aller Kraft versucht Frankie vor seinen Freunden, aber auch vor sich selbst, dieser Weltordnung gerecht zu werden, um den Anschein zu bewahren, auch er wäre Teil davon. Gleichzeitig aber, kommt er nicht umhin, sich einzugestehen, dass er Männer attraktiv findet, dass er ältere Männer sexuell aufregender findet, als seine Freundin und dass er sich tief im Inneren danach sehnt in einer Welt zu leben, in der das in Ordnung ist.

Der Shooting Star der britischen Schauspielszene Harris Dickinson verkörpert die Rolle des Frankie mit jugendlich sinnlicher Anmut und spielt die schmerzvolle Verzweiflung und Zerrissenheit durch äußert differenzierte Gesten, Blicke und eine nuancierte Mimik heraus: Der neidvolle Blick auf die kleine Schwester beispielsweise, die gesellschaftskonform Hand in Hand mit einem Jungen auf dem Spielplatz sitzt. Die Leere im Gesicht beim Gespräch mit seiner Freundin und dann wiederum die funkelnden Augen in Momenten des Glücks, die er im Drogenrausch durchlebt. All das macht den inneren Zwiespalt, das tragische Dilemma so greifbar; den Konflikt zwischen der Ablehnung des eigenen Selbst und dem Wunsch, einfach so sein zu können wie die anderen und der gleichzeitig empfundenen Ungerechtigkeit darüber, dass seine Sexualität scheinbar einer Rechtfertigung bedarf. Letztendlich scheitert der Versuch, die widerstreitenden Auffassungen in sich selbst zu lösen und Frankie bleibt allein, mit sich und der Welt zerfallen, zurück.

„Beach Rats“ ist sowohl eine eindrucksvolle und höchst aktuelle Gesellschafts- als auch Charakterstudie, die einerseits ersichtlich macht, dass Abweichungen von heterosexuellen Lebensformen auch in der westlichen Welt – auch im hippen Brooklyn – noch lang nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden können. Und andererseits zeigt der Film die Herausforderungen des Erwachsenwerdens und die bitteren vom Unbehagen an der Gegenwart ausgelösten Schmerzen eines Teenagerherzens – und das auf eine so sensible und tief greifende Weise, die den gesamten Film in eine außergewöhnlich schmerzlich schöne Poesie verwandelt.
 
 

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