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83.2% Bewertung
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    Sex ist, worüber man spricht

    Emma Thompson war schon immer zum Hinknien. In diesem so klugen wie temperamentvollen Kammerspiel tut sie das sogar selbst. Wie sonst soll Fellatio auch anders gehen? Meine Stunden mit Leo ist nichts, was ein prüdes Publikum gerne hören oder sehen will. Oder vielleicht doch? Vielleicht gibt ein Film wie dieser Anlass genug, um endlich mal ganz ehrlich zum jeweils eigenen Status Quo sexueller Erfüllung zu stehen. Im Hinblick auf die natürlichste Sache der Welt hat dieses Bedürfnis dank eines biochemischen Belohnungseffekts eine jede und ein jeder. Und das Beste: egal in welchem Alter. Somit sondiert hier, in diesem generischen, aber noblen Hotelzimmer, unser längst aus vielen Filmen lieb gewonnener Star anfangs noch recht zögerlich die neue Umgebung. Ähnlich skeptisch, kam ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen, was ein Zwei-Personen-Film wie dieser denn wirklich Bereicherndes verspräche, außer eben Emma Thompson, die laut Trailer mit ein bisschen Alkohol und simplen Tanzschritten aus sich herauszugehen vermag. Im Nachhinein muss ich feststellen: Ich hätte den Film falsch eingeschätzt. Und ich hätte mir Meine Stunden mit Leo womöglich auch nicht auf meine Watchlist gesetzt, wäre mir dieser nicht von mehreren Seiten empfohlen worden. Da ich den Empfehlungen meiner Leser und natürlich auch die meiner Freunde gerne nachgehe, konnte diese kleine filmische Begegnung aus Geben und Nehmen dann doch nicht an mir vorbei. Und gut war’s.

    Denn es ist nicht so, als wären diese Stunden, die Emma Thompson alias Nancy Stokes mit dem attraktiven Callboy Leo Grande verbringt, nur gefüllt mit Small Talk und hemdsärmeligen, erotischen Stellungsversuchen, bis beide endlich ihre Hüllen fallen lassen. In Wahrheit ist es so, dass Nancy Stokes sich nicht nur der Textilien entledigen will, sondern auch einer lange herumgetragenen Wahrnehmung von sich selbst und der Welt, deren Entwicklung scheinbar spurlos an ihr vorübergegangen sein muss. Um den Blickwinkel mal zu wechseln, muss Frau neues ausprobieren. Also bucht sie Leo (charmant und attraktiv: Daryl McCormack, u. a. aus Pixie bekannt), einen Mann für gewisse Stunden, der aber nicht nur zwingend für Sex zu haben sein muss, sondern auch für bereichernde Partnerschaften auf Zeit. Ganz billig dürfte dessen Service nicht sein, doch immerhin scheint Nancy zu bekommen, was sie erwartet hat. Nur weiß sie anfangs selbst nicht, was das ist. Ob es die Erwartungen anderer sind, Leos Erwartungen oder die ihrer Freunde und Familie – jedenfalls nicht die ihren. Und so wird aus anfänglichem Zögern und dem üblichen Kennenlernen in solchen Situationen ein auf beiden Seiten ausgetragener, niemals peinlich für den oder die andere werdender Seelenstriptease, der zutage fördert, was beide in ihren Bedürfnissen hemmt. Geben und Nehmen drehen sich um, und die Frage nach dem Sex löst sich dadurch ganz von allein.

    Ja, Emma Thompson ist auch hier zum Hinknien. Uneitel, natürlich und ganz und gar selbstbewusst steht sie irgendwann vor dem Spiegel, nackt wie Gott sie schuf. Um dieses „Ja, so bin ich – und das ist gut so“ überhaupt zu erreichen, dafür bedarf es das Hinterfragen umständlicher Tabus und gesellschaftlicher Enge, aus der man sich befreien sollte, will man sich im Alter nicht mehr über alles den Kopf zerbrechen müssen. Der Weg in die Natürlichkeit ist gepflastert mit knackigen Dialogen und einer zielsicheren Dramaturgie, die sich nicht zu lange mit Monologen aus den Erinnerungen der beiden Schauspieler aufhält. Viel wichtiger ist das Aufbrechen alter Strukturen gerade beim Thema Sexualität. Regisseurin Sophie Hyde und die englische Comedian Katy Brand, die das griffige, gerne auch mal erotische Drehbuch verfasst hat, fallen zum Glück nicht mit der Tür ins Haus. Sie wissen beide sehr wohl, dass das Thema eines von jener Sorte bleiben darf, die man nicht in alle Welt hinausposaunt, sondern dass einer eigenen, lockeren Handhabung bedarf. Nämlich einer aus Respekt und gesunder Selbstliebe.


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    23.01.2023
    17:02 Uhr
  • Bewertung

    "we don´t have a safeword!"

    sehr kurzweiliges Kammerspiel mit zwei wunderbaren Schauspielern - vor allem Emma Thompson ist eine Wucht! Würde ihn unbedingt im Original empfehlen.
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    03.11.2022
    19:47 Uhr
  • Bewertung

    Vom sexuellen Erwachen im späten Alter

    So hat man Emma Thompson noch nie gesehen!

    Die britische Oscar-Preisträgerin zeigt sich in ihrer neusten Rolle von einer ungewohnt freizügigen Seite. In Sophie Hydes Sex-positiver Tragikomödie ,,Good Luck to You, Leo Grande", die im Rahmen des Sundance Festivals uraufgeführt wurde, spielt die 62-Jährige die Witwe Nancy Stoakes. Die pensionierte Lehrerin heuert einen jungen Callboy (ein wunderbarer Daryl McCormack) an, der ihre sexuellen Gelüste zufriedenstellen soll und auf genaueste Wünsche seiner Kundinnen eingeht. Etwas, das ihr verstorbener Gatte in 31 Jahren Ehe nie wirklich hinbekommen hat. Nancy und der gutaussehende Mann, der sich beruflich Leo Grande nennt, verabreden sich in einem Hotelzimmer. Es folgen tiefsinnige Gespräche, in denen die ältere Dame ihren eigenen Körper besser kennen und lieben lernt. Ein intelligent und pointiert geschriebener Film, der über verzerrte Körperbilder und verpasste Orgasmen reflektiert.
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    20.02.2022
    16:15 Uhr
  • Bewertung

    Späte sexuelle Befreiung

    Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
    In ihren Filmen beschäftigt sich Regisseurin und Drehbuchautorin Sophie Hyde (52 Tuesdays, Animals) immer wieder mit Beziehungsdynamiken und bricht dabei gerne mit konventionellen Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Normen. So auch in ihrer neuen Komödie „Good Luck To You, Leo Grande“, die kürzlich im Zuge des Sundance Film Festivals uraufgeführt wurde. Als Protagonistin des Films konnte keine geringere als zweifache Oscarpreisträgerin Dame Emma Thompson gewonnen werden, in der Rolle des charmanten Callboys Leo Grande ist der irische Schauspieler Daryl McCormack (Peaky Blinders) zu sehen.

    Nancy Stokes, eine verwitwete Lehrerin in Rente, wartet nervös im Hotelzimmer. Nachdem sie ihr Leben lang ihre eigenen Bedürfnisse unterdrückt hat und sich ihrem langweiligen Alltag gefügt hat, will sie nach dem Tod ihres Mannes endlich neue Lebensfreude entdecken. Obwohl sie sehr lange über das Engagieren eines Sexarbeiters nachgedacht hat, kommen Nancy Bedenken als der junge, gutaussehende Leo Grande schließlich den Raum betritt. Mit seinem Charme gewinnt er schnell das Vertrauen der Mittfünfzigerin, die unbedingt das erste Mal in ihrem Leben einen richtigen Orgasmus erleben möchte. Ihre eigene Unsicherheit steht ihr beim Vorhaben allerdings im Weg, während Leo von Nancys Eigenheiten fasziniert zu sein scheint.

    Der Film beschränkt sich komplett auf die Treffen zwischen den beiden Hauptfiguren und findet fast ausschließlich in den Räumlichkeiten des Hotels statt, was wohl den Dreharbeiten inmitten der Hochphase der Pandemie im Vereinigten Königreich zu verschulden ist. Das reduzierte Setting funktioniert als Kammerspiel nichtsdestotrotz wunderbar und vermag es die beiden Protagonisten gekonnt ins Scheinwerferlicht zu stellen.

    Die physische und emotionale Entblößung von Nancys Charakter erfolgt graduell und geht mit ihrem zunehmenden Selbstbewusstsein, das sie durch die intimen Treffen mit Leo dazugewinnt, einher. Der Film beschäftigt sich dabei mit Themen wie Selbstliebe, (falschen) Schönheitsidealen und Sexarbeit, und demonstriert, dass es nie zu spät ist, aus alten Mustern auszubrechen und seinen eigenen Körper kennen und lieben zu lernen.

    Ein wunderbar unterhaltsamer Film, der mit viel Selbstironie und Augenzwinkern tiefgehendere gesellschaftliche Probleme aufgreift.
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    23.01.2022
    18:29 Uhr